Napoleon auf St Helena.
Dieses gewaltige Filmwerk erlebt heute Donnerstag zu
ermäßigten Eintrittspreisen seine Aufführung im Lichtspie!-
haus.
*
/ Juni 1815.
Die Schlacht von Waterloo ist verloren, die letzte Karte ist
vusgespielt! Napoleon ist aus Paris geflohen, das die Bour-
bonen begeistert empfängt. Napoleon hat sich ergeben, der
„Bellerophone" trägt ihn nach England, wo er unter dem
Schutz der englischen Gesetze sein Leben als friedlicher Bürger
beschließen will. Die Nachricht von seiner Uebergabe gelangt
mit Windeseile nach Wien, Paris, Petersburg, ins preußische
Hauptquartier. Ueberall löst die Nachricht die gleiche Ver¬
legenheit aus: „Das müssen die Engländer übernehmen!"
Und die Engländer übernehmen es wirklich!
St. Helena! Dieser Felsensarg, mitten im Atlantischen
Ozean, erscheint England am sichersten für den künftigen
Aufenthalt Napoleons. Das Wort Gefangenschaft ist bisher
noch nicht gefallen.
Mit den Getreuesten aus seinem Gefolge, mit General
Bertrand und dessen Frau, mit dem Grafen Montholon, dem
General Gourgaud, dem Baron Las Cafes und seinem treue-
sten Diener Marchand landet er endlich nach Wochen quäl-
voller Ueberfahrt, qualvoll durch Zweifel und Ungewißheit,
-auf St. Helena.
Eine wüste, leere ungesunde Insel, fern jeder Küste, ein
tristes Stückchen Erde! Dort beginnt das ergreifende mensch-
liche Drama sich zu entfalten, das immer wieder neue Nah-
rung findet in dem furchtbaren und erbitternden Kampf, der
Zwischen ihm und dem englischen Gouverneur, Sir Hudson
Lowe, entbrennt.
Sein Gefolge betrachtet und behandelt ihn nach wie vor
vls Kaiser.
Der Gouverneur bleibt unerbittlich dabei, einen „gefan¬
genen General" bewachen zu müssen.
Immer wieder bäumt sich in dem gefangenen Titanen der
Zorn über die kleinliche Art der Bewachung, über die Schi-
kanen und täglichen Nadelstiche auf und macht sich Luft in
heftigen Zusammenstößen mit dem Gouverneur. Immer wie-
der prallt an der kalten und unerbittlichen Entschlossenheit
dieses Gouverneurs jeder Appell und jede Aktion, die Lage
des Kaisers zu verbessern, wirkungslos ab.
Kleine Intrigen innerhalb seines Gefolges, die Verhaf-
tung von Baron Las Cafes durch den Gouverneur, weil jener
einen Brief nach Europa durchgeschmuggelt hatte, die immer
mehr zunehmende Vereinsamung, die wachsende Erkenntnis,
daß es von dieser Insel kein Entrinnen gibt, bricht schließlich
auch die starke Konstitution des Titanen.
Einer nach dem anderen aus seinem Gefolge wird ihm
weggenommen oder geht von ihm. Immer stiller und ein-
sanier wird es um den großen Kaiser. Er kann nicht mehr
reiten, Spaziergänge sind ihm beim Anblick der Wachen ver-
gällt. Sein Körper versagt ihm zuweilen den Dienst. Ausge¬
schlossen von jeder aktiven Betätigung,, die diesem Rastlosen
Lebensnotwendigkeit ist, verzehrt er sich in kühnem Projekte-
machen, diskutiert Ideen, die durch ihre Modernität, ihren
hellsichtigen Zukunftsblick erst das wahrhaft titanenhafte For-
mat dieses Mannes erkennen lassen.
Doch es ist das letzte Aufflackern des Geistes. Einmal noch
kommt >ein Lichtblick in feine verzweifelte Situation: Als die
Büste des kleinen „Königs von Rom", seines geliebten Kin-
des, nach manchen Kämpfen und neuen Intrigen endlich in
feine Hände gelangt.
Auch eine merkwürdig zarte menschliche Beziehung, die
ihn mit der Frau des Generals Bertrand verbindet, wirft
vorübergehend einen lichten Sonnenstrahl in das düstere
Ende seiner Tage.
Aber nach einer besonders großen Aufregung — seine
Frau Marie Luise, die frühere österreichische Prinzessin, die
er zur Kaiserin der Franzosen gemacht hat, hat sich völlig von
ihm abgewendet, ihn verraten und betrogen — bricht er zu¬
sammen und erleidet seinen ersten Anfall. „Es ist mir, als ob
ein Degenstoß mich durchbohrt hätte", sagt er zu seinem treuen
Marchand.
Als auch sein Leibarzt ihm vom Gouverneur genommen
wird, als er monatelang ohne ärztliche Hilfe fein Leiden sich
immer mehr verschlimmern sehen muß, ist es auch mit seiner
übermenschlichen Widerstandskraft vorbei.
Er legt sich hin, um nicht wieder aufzustehen.
Und jetzt beginnt ein grausiges Spiel auf dem weiten-
fernen Felsen mitten im Ozean. Der strenge Gouverneur, der
auf seinen Schultern eine unerträgliche Verantwortung fühlt,
der an seiner Aufgabe, dieses Genie bewachen und zermürben
zu müssen, zerbricht, Hudson Lowe, glaubt nicht an diese
Krankheit! Für ihn ist alles nur Komödie, alles nur Ver-
jtellung und ein Simulieren, um geheime Fluchtpläne zu ver-
Meiern. Noch strenger wird die Bewachung. Noch mW
säuischer wird er gegen alles, was aus Longwood dringt.
And als gar der Gouvernementsarzt ihm berichtet, daß man
ihn in Longwood im Dunklen einen Mann untersuchen ließ,
der zwar krank schien, von dem er aber nicht sagen könne, ob
es der General Bonaparte gewesen sei, da steht es für Sir
Hudson Lowe fest, Napoleon flieht; will fliehen oder ist viel-
leicht schon gar geflohen.
Mit Gewalt, mit Gewalt ins Krankenzimmer, ist sein
nächster Befehl! Tot oder lebendig: Sein Leutnant muß den
General zu „Gesicht bekommen", muß sich überzeugen, daß er
noch in Longwood ist.
Die Dienerschaft verhütet das Letzte unb Schrecklichste.
Der Leutnant unb seine Soldaten schrecken vor ber Entschlos¬
senheit ber Dienerschaft zurück, unb während Napoleon ster¬
bend jenes Dokument, welches die Welt als das Testament
des großen Napoleon kennt, in die Feder Montholons dik¬
tiert, zittert in seinem Zimmer der Gouverneur davor, jeden
Augenblick die Nachricht zu erhalten, daß „General Bona-
parte" entflohen ist. . .
Es dauert auch nicht mehr lange und er ist wirklich ent-
flohen. Entflohen in die Welt, die keinen Ehrgeiz, keinen Haß
kennt! Nach einem Leben und nach Taten, die vor ihm und
nach ihm vielleicht kein einzelner Mensch zu tun imstande war
und sein wird.
Der Gouverneur^ aber kann an der Leiche des großen
Mannes nichts anderes murmeln als „Ich habe doch nur
meine Pflicht getan ..."
Napoleon aber, der große Schlachteu-Kaifer, hinterließ der
Menschheit einen Satz, der ewig ist wie fein Andenken:
„3m Kampf zwischen Säbel und Geist wird immer der
Geist siegen".