Object: Geschichte der neueren Zeit (Teil 3)

Die französische Revolution. 
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§ 61. Die HuFklärungsIiteratur, Reue Doikswirtfchnitliche 
[lehren. England, das Land der härtesten religiösen Unduldsamkeit, EnglMe 
mit welcher sich zuerst der schärfste politische Absolutismus gepaart hatte, listen, 
wurde auch die Heimat des Unglaubens, der Freigeisterei, der Vernunft- 
religion, der sog. Aufklärung, der Lehren, welche die Offenbarung, das 
Christentum, den persönlichen Gott bezweifelten oder verneinten und dazu 
führten, das liebe Ich über alle Autorität zu stellen. Während noch John 
Locke (1632—1704) an einem undogmatischen Christentum festhielt, erkannten 
Bolingbroke (1672—1751), Shaftesbury (1671 —1713) und David 
Hume (1711 — 1776) höchstens eine natürliche Religion an, der aus 
Holland stammende französische Generalpächter Helvetins (1715—1771) 
huldigte in Lehre uud Leben der rohesten Selbstsucht uud ihrer Tochter, 
der Genußsucht. Schriften der Freidenker strömten aller Gegenmittel nn- 
geachtet nach Frankreich, wo die lockere Moral und die religiöse Ober- «ngtomame 
flächlichkeit den Boden für Unglauben empfänglich gemacht hatten. Trotz Frankreich, 
wiederholter politischer Gegensätze gerieten die gebildeten Kreise Frankreichs 
in förmliche Schwärmerei für England hinein, namentlich für dessen ver¬ 
meintlich beste Verfassung, und der Hauptschuldige bei dieser Irreleitung 
der öffentlichen Meinung, wenigstens der „gebildet" sein wollenden Kreise, 
war Franz Maria Arouet, genannt Voltaire (1694—1778). 
Aus das große Publikum wirkt stets blendender Schein mehr als Voltaire. 
Gedankentiefe. Obgleich weder ein großer Dichter noch ein echter PHi- 
lofoph noch auch ein gründlicher Geschichtsschreiber und klarer politischer 
Kopf, hat doch dieser Schriftsteller durch feilte Fruchtbarkeit, feine Viel¬ 
seitigkeit und seinen berückenden Stil einen ganz mächtigen Einfluß aus 
das Denken seiner Zeit ausgeübt. Seine „Briese über die Engländer", 
verfaßt während seiner Verbannung (1726 - 1729), fanden trotz ihrer 
Oberflächlichkeit einen ungeheuren Leserkreis. Und warum? Weil die 
Leser in den Anspielungen willkommene Kritik gegen die in Frankreich 
herrschenden Zustände fanden, die doch in vieler Beziehung beffer als die 
englifchen waren. Während er die Worte Gott, Tugend und Gewiffens- 
fretheit im Munde führte und sich als Verteidiger der Toleranz und der 
Unschuld ausspielte, kämpfte er mit den giftigen Pfeilen des Hohnes und 
des Witzes wider alles, was der kirchliche Glauben als heilig und ver- 
ehrungswürdig betrachtete, angeblich gegen den Aberglauben, in Wahrheit 
gegen das Christentum und die Kirche, zu deren Vernichtung er ans- 
forderte durch das Wort: ecrasez l'infäme. In dieser traurigen Kunst, 
das Hohe in den Schmutz zu ziehen, hat er seinen Lehrmeister Bayle, 
den Verfasser eines Konversationslexikons, des Dictionnaire (1696), weit 
übertroffen, besonders durch seine schmachvolle Verhöhnung der Helden- 
juugfrau von Orleans (La Pucelle). Ohne die satirischen Ausfälle gegen 
das Kirchliche und die Monarchie, deren Unumschränktheit er später wieder 
verteidigte, ohne die ekelhaft unsaubere Phantasie des in Denken und
	        
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