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Darum zog sich Plato von allen Staatsgeschäften zurück, kaufte sich den
schönen Garten eines gewissen Akademos und versammelte dort eine aus¬
erlesene Zahl wißbegieriger Athener, um ihnen seine Forschungen und Er¬
fahrungen mitzutheilen. Nach dem Namen jenes Akademos erhielten seine
Versammlungen den Namen Akademie. Er lehrte seine Zuhörer: ,,Der
rechtschassene Mann, dem das Gewissen verbietet, an der herrschenden Schlech¬
tigkeit Theil zu nehmen, sieht wie ein wehrloser Mensch unter wilden Thie-
ren, ohne Freund und Beschützer; er wird sich vergebens bemühen, den Zu¬
stand des Gemeinwesens zu verbessern und über seinen Bemühungen selbst
untergehen. Daher muß man sich in die Stille des wissenschaftlichen Lebens
zurückziehen, wie etwa ein Mann, der, vom Gewittersturme überfallen, hin¬
ter einer Mauer gegen Wind und Regen Schutz sucht."
„Wer," pflegte er ferner zu sagen, „sein geistiges Auge auf das Ewige
gerichtet hat, dem bleibt nicht einmal Zeit dazu übrig, abwärts auf das
Treiben der Menschen zu schauen und sich mit ihnen herumzuzanken; sein
Blick ist fortwährend jenen Räumen zugewendet, wo eine unverrückte Ord¬
nung waltet, wo Niemand Unrecht thut und Niemand Unrecht leidet, wo
nur Harmonie und Vernunft herrscht." Gleichwie Sokrates, lehrte auch
Plato, daß der wahre und höchste Zweck der Philosophie sei, den Menschen
besser zu machen. Auch glaubte er, wie Sokrates, nur an Einen Gott,
dennoch behauptete er, daß auch die übrigen Gottheiten des griechischen Volks¬
glaubens wirkliche Wesen, aber von dem höchsten Gotte erst in's Dasein
gerufene Geister seien. „Dieser einzige Gott," sagte er, „hat den Stoff, aus
dem alles Sichtbare besteht und der vor dem Anfänge aller Dinge im wüsten
Chaos durcheinander wogte, zur Welt gemacht, indem er in die Mitte
des gesammten Stoffes eine denkende Seele, die Weltseele, setzte, welche
von dem Mittelpunkte aus nach allen Seiten wirkt. Außer den Göttern
erschuf der einzige Gott auch Menschenseelen von demselben Stoffe wie die
Weltseele ihn hat, und bekleidete sie mit irdischen Leibern, so daß Sterbliches
und Unsterbliches in Einem Wesen vereinigt ist. Aber diese Menschenseele
besteht aus zwei Theilen, dem rein geistigen und dem sinnlichen Vermögen;
jenes folgt der Vernunft, dieses der Begierde und der Empfindung, und
unsere Aufgabe im irdischen Leben ist es, daß die Vernunft in uns herrscht
und die Sinnlichkeit ihr dient." Wahrhaft dichterisch beschreibt Plato den
Zustand der Seele vor ihrer Verbindung mit einem menschlichen Leibe. Sie
schwebt als göttliche Idee, d. i. Urbild, in den himmlischen Raumen der
Götter, dort, wo die Wahrheit, die Tugend und die Schönheit in ewigem
Einklänge waltet. Im irdischen Leben ist alle Erkenntniß nichts als eine
Erinnerung an das, was die Seele während ihres vorweltlichen Daseins
im Gefolge der Götter geschaut hat. Vor der Verbindung mit dem Leibe
stimmte unser Geist vollkommen mit dem Gange der göttlichen Weltordnung
überein; durch die Leiblichkeit ist diese Zusammenstimmung gestört worden,
aber unsere Pflicht ist es, sie durch aufmerksame Betrachtung der göttlichen