— 109 —
aber im Volk selbst wenig Verbreitung. Vertheidiger des alten
Glaubens waren La netter (Schöpfer der Physiognomik), der sinnige
Jung, genannt Stilling, Claudius, der „Wandsbecker Bote,"
der schwärmerische Hamann, der „Magus aus Norden" u. a. Durch
bett genialen Polyhistor Leibnitz gest. 1716 war in der Philosophie
die ideale Weltanschauung maßgebend geworden, welche dem Ein¬
dringen materialistischer Ansichten wirksam entgegentrat. Von Chri¬
stian Wolf wurde die leibnitzische Lehre weiter fortgebildet und auch
dem großen Publicum zugänglich gemacht, weil dieser Philosoph seine
Schriften deutsch verfasste. Er folgte hierin dem Beispiele des
höllischen Professors Thomasins, der zuerst seine Vorlesungen in
deutscher Sprache hielt und auch die erste deutsche Zeitschrift heraus¬
gab. Thomasius Auftreten gegen den Unsinn der Hexenprozesse ist
ein weiteres^Verdienst dieses bedeutenden Mannes. Die ganze Tiefe
seines Denkens offenbarte aber der neuerwachte nationale Geist am
Ende des 18. Jahrhunderts, als Kant in Königsberg gest. 1804 eine
Philosophie schuf, die mit ihrem sittlichen Ernst alle Wissenschaften
durchdrang. Auch auf dem Gebiete ber Pädagogik kam durch
Basedow, der sich von Rousseau anregen ließ (Philantropinum in
Dessau) eine ttene Lehrmethode auf. Auf diese fussend machte der
Schweizer Pestalozzi, beut besonders das Volksschnlwesen Großes
verdankt, bie Anschauung zum Grunbsatze alles Unterrichtes.
3. Am herrlichsten entfaltete sich in bieser Epoche bas betttsche
Culturleben ans betn Gebiete ber schönen Literatur. Nach bett
Vorläufern Haller, Hageborn unb Gellert begann mit Klopstock
und Lessittg bie Blüthezeit nationaler Dichtung. Während
jener bas religiöse Gefühl hob unb bas Deutschthum feierte, be¬
kämpfte bieser den französischen Geschmack unb ergründete das Wesen
der Dichtktutst wie das der bildenden Kirnst. An Stelle französischer
Muster, denen noch Wieland in seinen gefälligen Dichtungen nach¬
eiferte, traten Shakspeare ttitd Homer (Ueber setz er Voß), die in ihrer
Bedeutung erst jetzt von den Deutschen ersannt wurden. Auf die
Schönheiten der Naturdichtungen, besonders der morgenlättdischen,
wies der geistreiche Herder gest. 1803 hin. Gleichzeitig entstand
der göttinger Dichterbund, in welchem begeisterte Jünglinge für
Religion und Vaterland schwärmten. Matt forderte die Rückkehr zum
Natürlichen und schüttelte in kraftgenialer Weise den Zwang ver¬
alteter Kuustregeln ab. Nach dem Sturm unb Drang ber siebenziger