189
Am heitersten wollte sich die Poesie in Frankreich entwickeln, wo
noch immer die fröhliche Weise der Margaretha von Navarra und
ihrer Zeitgenossen fortlebte und der launige Nabel ais seinen unerschöpf¬
lichen Witz spielen ließ. Zuerst hatte sich hier eine reine, fließende und
kräftige Prosa gebildet, und die Franzosen waren nach dem Vorgänge
Pascal's und Montaigne's die ersten, welche Lehren der Weisheit in
in einer gefällige Sprache darzustellen wußten. Zwar wichen die Musen
erschrocken während der Hugenottenkriege zurück, in der Bartholomäusnacht
ist manches fühlende Dichterherz und mancher Denkerkopf untergegangen,
doch unter der Regierung Heinrich's IV., der selbst ein Dichter und
Denker war, erhob sich ein neues, frisches Leben, ja unter seines Sohnes
Regierung stand der Parnaß in voller Blüthe. Da stiftete Richelieu,
der gewaltige Mann, der nicht nur im Staate, sondern auch im Gebiete
der Geister herrschen wollte, die berühmte Akademie der französischen
Sprache; von nun an wurde das Wort gefesselt, wie alles Uebrige in
Frankreich, und den Schriftstellern die Freiheit benommen, die Sprache
weiter auszubilden. Damals trat Peter Corneille mit seinem Trauer¬
spiele: der Cid, auf; das ganze Volk erstaunte, überrascht von der Neu¬
heit der Empfindung und der Gedanken, welche in Aller Herzen Wieder¬
klang fanden. Richelieu aber erschrak über den Cid, als ob die Spanier
schon gegen Paris anrückten! Solche Empfindungen und eine solche Sprache
wollte er im Reiche nicht aufkommen lassen, darum wurden alle Akademiker
aufgeboten, das Trauerspiel herabzuwürdigen, und Corneille nahm so¬
dann römische Helden zu seinen Dramen, die wie französische Marschälle
sprechen mußten, wohl höfischer und geschmeidiger als der Cid, aber auch
unfreier und unpoetischer. So ist die sogenannte classische Schule der
Franzosen entstanden, die bis auf die neueste Zeit die französischen Dichter
in Fesseln hielt.
§. 18. Die Frauen.
Das Reformationszeitalter bildete den Uebergang vom Mittelalter in
die neuere Zeit, sowohl in Sitten und Gebräuchen, als auch im StaatS-
und Kirchenleben, in Kunst und Wissenschaft. In dem darauf folgenden
Zeiträume und während des 30jährigen Krieges ging der noch vorhandene
Rest des Mittelalters völlig unter und bei allen Nationen traf man Vor¬
bereitungen zur Gestaltung der neueren europäischen Gesittung. In ganz
Europa war während des 16. Jahrhunderts der Luxus in Kleidern und
Genüssen aller Art ungemein gestiegen, doch äußerte er sich in Allem auf
die geschmackloseste Weise. Bei den Frauen und Männern sah man
spanische Tracht: jene trugen ungeheuere Wülste um die Hüfte und
mehre Kleider über einander, die Männer aber lange Pluderhosen, die in
unzählige Falten gelegt^ waren, so daß zu einem Paar gegen 30 Ellen