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den heftigsten Widersprüchen der Geistlichen selbst nach und nach
durchgeführt werden konnte, da ein großer Theil derselben, besonders
aus dem niedern Klerus, verheirachet war. — Auf einem zweiten
Concilium (1075) wurde die Investitur, d. i. das Recht der Ein¬
setzung der Bischöfe und Siebte mit Ring und Stab und ihrer
Belehnung mit Kirchengütern, was bisher durch die Fürsten als
Landesherren geschah, unter Androhung des Kirchenbannes verboten.
Denn die Investitur, die gewöhnlich gegen Zahlung großer
Summen geschah, schien der Simonie gleich zu sein.
6) Aber Gregor wollte nicht bloß die Unabhängigkeit der
Kirche von dem Staate erkämpfen, sondern auch die geistliche Ge¬
walt über die weltliche erheben; die höhern Geistlichen sollten ihre
Erhebung nur dem Papste zu verdanken haben; dieser aber als
Oberhaupt der Kirche die schiedsrichterliche Oberherrlichkeit über
alle Reiche und Herrschaften der Christenheit ausüben. Denn un¬
klar und verwirret waren in damaligen Zeiten die Begriffe der
Menschen von dem Wesen und der Bestimmung der Kirche und
des Staates. Wie der Geist über den Körper herrschen solle,
hieß es, so die Kirche über den Staat. Und gleich wie zwei
irdische Lichter die Welt erleuchten, Sonne und Mond, so leuch¬
ten auch Papst und Kaiser der Christenheit, wie aber der Mond
sein Licht nur von der Sonne habe, so sei es der Papst, als
Statthalter Christi, von dem die kaiserliche Gewalt ausgehe und
abhängeJ).
7) Durch solche Veränderung in den Begriffen und Anschau¬
ungen der Menschen mußte die "bisherige Stellung der deutschen
Könige, als Träger der Kaiserkrone, zum Papstthum eine andere
werden, zumal da zu derselben Zeit die königliche Centralgewalt in
Deutschland durch das aufstrebende Fürstenthum geschwächt und
in enge Grenzen eingeengt wurde. Denn das Streben der Fürsten,
die eigene Gewalt auf Kosten der königlichen zu erheben, fand in
den neuen Ansprüchen des päpstlichen Stuhles, das Schieds¬
richteramt auch über den Kaiser zu üben und diesen zur Ver¬
antwortung ziehen zu können, willkommene Unterstützung. Dies
zeigte sich nun sofort bei den feindlichen Zerwürfnissen, welche
zwischen Heinrich IV. und den sächsischen Großen ausgebrochen
waren.
1) Anmerk. Bei solchen Ansichten mußte die Selbstständigkeit und Würde des
Staates zerstört werden, und sich zwischen diesem und dem Papstthume ein
Kampf entwickeln, der eine Haupterscheinung des Mittelalters ist, und vor¬
züglich dazu beigetragcn hat, daß durch das Lehnwesen nicht einerseits eine
despotische Allgewalt der weltlichen Herrscher, andererseits eine erbliche Adels¬
und Priesterkaste sich bilden konnte.
2) An merk. Hildebrand als Papst Gregor VII. und sein Zeitalter,
von I. Voigt 1815, zweite Auflage 1846. — A. F. ©fröret, Papst
Gregor VII. und sein Zeitalter. 7 Bde. 1859—1861.