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Die religiös-kirchliche Keformbeivegung in Deutschland oder die
deutsche Deformation^).
§. 15.
Anfänge der Reformation. Luther's erstes Auftreten.
1) Mehr noch als im Staatlichen wurde zu Anfang des
16. Jahrhunderts das Bedürfniß einer Umgestaltung und
geistigen Erneuerung auf dem Gebiete des kirchlichen und
religiösen Lebens gefühlt, und hier eine Reformation, wie
man dies nannte, verlangt.
2) Die Klagen in dieser Beziehung waren nicht neu; sie
wurden seit dern 15. Jahrhundert viel und laut erhoben: über die
Mißbräuche, die im Verlaufe der Zeit sich in die Kirche einge¬
schlichen hatten und alles wahre religiöse Leben durch bloßen
Cereinoniendienst zu ersticken suchten; über die große Unwissenheit
und geistige Verkommenheit vieler Mitglieder des geistlichen Stan¬
des; über die Entartung der Kirchenverfassung, wodurch das ge-
sammte Kirchenregiment in die Hände des römischen Stuhles
gekommen war, der seine Allgewalt zu immer gesteigerten Geld¬
forderungen unter allerlei Titeln, wie Annaten^), Zehnten von
sammtlichen Kirchengütern, Ablaßverkauf, Kanzleigebühren u. a.,
geltend zu machen wußte u. s. w.
3) Selbst drei Kirchenversammlungen, zu Pisa (1409), zu
Costnitz <1414) und zu Basel (1431), hatten sich deßwegen für
die Nothwendigkeit einer Reformation der Kirche an Haupt
und Gliedern ausgesprochen, und hatten auch ernsthafte Ver¬
suche dazu gemacht, ohne indessen durchdringen zu können. Denn
es gab eine Partei in der Kirche, die aus Mangel theils an rich¬
tiger Einsicht, theils an gutem Willen, da die bestehenden Mi߬
bräuche ihren persönlichen Interessen dienten, nicht bedachte, daß,
während die göttlichen Wahrheiten des Christenthums
ewig unveränderlich sind, doch die äußerlichen kirchlichen Formen
nach der jedesmaligen Bildung und nach den Bedürfnissen der
Menschen sich richten müssen.
4) Inmitten der deutschen Nation wurde das Bedürfniß einer
kirchlichen Reformation besonders lebhaft empfunden. Wiederholt
hatten die Stände des Reichs auf Reichstagen Beschwerden
über die bestehenden Mißbräuche und wider die römischen Geld¬
erpressungen erhoben, und deren Abstellung verlangt. Die her¬
vorragendsten Gelehrten der Nation, wie der Niederdeutsche Eras¬
mus von Rotterdam, der Oberdeutsche Johann Reuchlin
von Pforzheim u. A. kämpften mit den Waffen der Wissenschaft
gegen die herrschende mittelalterliche Scholastik und deren Formeln,
und wiesen auf das Studium der heiligen Schrift, die man