Full text: Geschichte des deutschen Volkes und Landes (Cursus 3, Abth. 2)

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durch gläubiges Vertrauen auf die erbarmende Liebe und Gnade 
Gottes von dem Gefühle der Sündhaftigkeit erlöst und vor seinem 
Schöpfer und Richter gerechtfertigt werde. 
9) Zu einer solchen Ueberzeugung Luther's, welche der feste 
Mittelpunkt seines geistigen Lebens und Strebens wurde, hatte 
sein Vorgesetzter, Johann Staubitz, der Provinzial des Augustiner¬ 
ordens, vieles beigetragen. Denn dieser vortreffliche Mann, der 
auf die innere Entwickelung und den äußern Lebensgang Luther's 
wesentlich einwirkte, hatte ihn zum eifrigen Studium der Bibel und 
zum Lesen der Schriften des Kirchenlehrers Augustinus und 
anderer gleichgesinnter Geister ermuntert. Auf Empfehlung des 
auch am sächsischen Hofe hochgeachteten Staupitz wurde Luther 
1508 Professor an der neuen Universität zu Wittenberg, die 
Kurfürst Friedrich von Sachsen im Jahre 1502 gestiftet hatte. 
Im Jahre 1510 machte Luther in Sachen seines Ordens eine 
Reise nach Rom, dessen Zustände er nun aus eigener Anschauung 
kennen lernte. Nach seiner Rückkehr wurde er Doctor der 
heiligen Schrift (1512), die der Mittelpunkt seiner Studien 
war, und über die er nun Vorlesungen an der Universität hielt. 
10) Als der Ablaßverkäufer Tetzel in die Nähe Witten¬ 
bergs in Jüterbock ankam, schlug Luther am Vorabend des 
Allerheiligen Tages (31. Oktober 1517) nach akademischer 
Weise 95 Theses oder Streitsätze, „eine Disputation zur 
Erklärung der Kraft des Ablasses", an der Schloßkirche zu 
Wittenberg an. Luther bestritt die rohen Vorstellungen vom 
Ablaß und schied diese von der kirchlichen Lehre; dabei zeigte er, 
daß wahre Reue und die innere Sinnesänderung, was doch die 
Hauptsache sei, überhaupt nicht durch Ablaß bewirkt werden könne. 
Diese That ist als Anfang der Reformation zu betrach¬ 
ten, da Luther seitdem, bei seinem freimüthigen und feurigen 
Charakter und bei seiner festen Anhänglichkeit an seine Ueber- 
zeugungen, die auf einem andern Boden wurzelten, als die scho¬ 
lastischen Schulmeinungen seiner Gegner, im Kampfe mit diesen zu 
immer kühnem Schritten fortgerissen wurde. 
1) 31 nmer!. Zur Literatur: Außer den Schriften der Reformatoren und 
ihrer Gegner: Sleidanus de statu religionis et reipublicae Carolo V. 
Caesare. Argent. 1555. — Spalatinus, Annales reformationis. — 
Seckendorf, Commentar. hist, de Lutheranismo. 1668. — Leopold 
Ranke, deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation, 6 Bde. 4te 3lufl. 
1867 ff. — G. Pfizer, Martin Luther's Leben. Stuttgart 1836. — 
K. Jürgens, Leben Martin Luther's. 1846 ff. — P h. Marheineke, 
Geschichte der deutschen Reformation. 4 Bde. 2te Ausl. 1831—34. — 
Reu decket, Geschichte der deutschen Reformation. — E. F. Souchay, 
Deutschland während der Reformation. 1868. — Vergl. hierzu besonders 
die deutsche Geschichte von Adolph Menzel. 
2) An merk. Annaten waren Abgaben, die der päpstliche Stuhl für Ver¬ 
leihung höherer Kirchenämter (der Erzbischöfe, Bischöfe, Siebte u. s. w.)
	        
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