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Um den größer» Unternehmungen der Germanen,
d:e man als gewiß erwartete, zu begegnen, mußte Tlbe-
riuö mit einem schnell zusammengerafften Heere an den
Rhein eilen; aber zu seinem Erstaunen fand er alles ru¬
hig. Die Deutschen wollten nicht erobern, sondern nur
ihre Freyheit schützen. Tiberius hielt das wankende Gal¬
lien in Gehorsam, und ging abermahls über den Rhein,
doch ohne tief einzudringen, und als er nach wenigen
Jahren dem Augustus in der Herrschaft Roms folgte,
trug er seinem Neffen German Leus, dem Sohne seines
Bruders Drusus, den Krieg gegen die Deutschen auf.
Dieser junge, feurige Held hatte das große Beyspiel sei¬
nes Vaters vor der Seele, und beschloß, des Varus Nie¬
derlage zu rächen. Wirklich gelang es ihm, zweymahl
Deutsche Völker unter Hermanns Anführung zu schlagen,
ja sogar Hermanns Gemahlin, Thusnelda, gefangen
zu bekommen, welche dann in seinem Tiumphe zu Rom
mit aufgeführt wurde. Zndeß widerstanden die Deutschen
dem siegreichen Feinde mit vorzüglicher Tapferkeit, und
nöthigten ihn nach jedem Feldzuge, sich nach seinen Fe¬
stungen am Rheine, oft mit großem Verluste, zurückzuziehen.
Ueber Herrn ann's letzte Jahre haben wir keine
Nachricht, außer daß die Römer mit wenigen Worten
erzählen: er sey in den Verdacht der Herrschsucht ge¬
kommen, es sey eine Verschwörung gegen ihn entstanden,
an welcher selbst seine Verwandte Theil genommen, und
so sey er (Ll n. Ehr.) im 57sten Zähre seines Alters, und
im i2ten seiner Feldhauptmannschaft ermordet worden.
„Noch — fügt Tacitus hinzu — wird er bey den Bar¬
baren besungen. Den Jahrbüchern der Griechen, die nur
ihre Thaten bewundern, ist er unbekannt. Auch bey uns
Römern ist er nicht berühmt genug; denn wir erheben
nur Altes, um das Neue unbekümmert."