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Kind vergißt leicht im nächsten Augenblick, was es soeben tun wollte:
mitten im Spiel oder einer anderen Tätigkeit verliert es die Lust
daran, es läßt sich in seinen Lebensäußerungen durch wunderliche
Einfälle, durch plötzliche Launen und mutwillige Gedankensprünge
bestimmen. So springt es in der Erzählung von einem Gegenstande
aus den andern und sragt über tausend Dinge, die offenbar keinen
inneren Zusammenhang miteinander haben. Auch wenn es mit sich
selbst plaudert, kann man diese Mängel in mehrfacher Hinsicht be-
obachten. Das Bild seiner Aufmerksamkeit wird treffend durch die
Art und Weise charakterisiert, wie es z. B. zur Schule geht. Es
schlendert unbedacht hin und her, gebraucht für den kleinen Weg
eine lange Zeit, es strebt nicht geradewegs seinem Ziele zu; die Schau¬
fenster, in denen bunte Bilder hängen oder Spielsachen ausliegen,
ein unbedeutender Vorgang, den es schon tausendmal auf der Straße
gesehen hat, lenken seine Aufmerksamkeit mehr auf fich, als die Ziel-
Vorstellung: du mußt zur Schule gehen. Und jedem Lehrer der
Kleinen ist bekannt, wie in der unterrichtlichen Betätigung die Neu-
linae so leicht müde werden und von dem abschweifen, was gerade
der Lehrer treibt, so daß man häufig mahnen muß: Paß doch auf!
Der Charakter der Aufmerkfamkeit des Kindes ist, wie diese
Beispiele zeigen, viel mehr durch den Reiz sinnlicher Wahrnehmungen
beeinflußt, als durch die bestimmte Absicht des Aufmerkens auf die
Dinge und Vorgänge in der Umgebung. Nur wenn das Kind
spielt, beschäftigt es sich intensiv mit einem G e-
danken, es hält ihn auch länger im Bewußtsein fest: aber es sind
im Wesentlichen die N a ch a h m u n g s s p i e l e, bei denen es im
gesammelten Aufmerken Kraft entwickelt, bei D e n k s p i e l e n ver-
sagt es leicht. Die Aufmerksamkeit, die sich diesen Vorgängen zu-
wendet, ist unwillkürlicher Art, sie wird nicht durch die Ziel-
Vorstellung des Kindes gelenkt. Die Gegenstände selbst fesseln die
Aufmerksamkeit, nicht der Zwang eines fremden Willens; der Zwang
des sinnlichen Spieles stellt die Richtung und den Verlauf der Auf-
merksamkeit sicher. Der willkürlichen Aufmerksamkeit ist das Kind
nur in geringem Grade fähig, in der unwillkürlichen Aufmerksamkeit
erreicht es einen hohen Grad der Konzentration.
Auch die Erfindungsgabe ist beim sechsjährigen
Kinde nur schwach. Insbesondere ist das, was wir die G e-
samtauffassung nennen, noch außerordentlich wenig entwickelt.
Wenn der Erwachsene mit dem Worte denkt, so ist das Kind viel
mehr an die anschaulichen Sachvorstellungen gebun-
den. die es in der Erinnerung zueinander in Beziehungen setzt. Der
Sinn für die Gesamtauffassung ist weder tief noch reich, noch ist
er für die Auffassung feinerer Zusammenhänge zulänglich. Wenn
man ein Kind nach einem bekannten Gegenstande fragt und Aus-