Metadata: (Für die sechste Klasse) (Abteilung A, [Schülerband])

Die tauben Ähren. 
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Die anderen sind schwer von Körnern, darum neigen sie sich abwärts; 
die beiden hohen da haben nur Spreu, darum sind sie leicht und stehen 
aufrecht." 
„Dann taugen die beiden auch nichts," sagte der Knabe. „Freilich 
nicht," antwortete der Vater, „sie sind nur leeres Stroh, das verfault 
und dann von der Welt verschwunden ist. Die anderen aber tragen 
Samen mit verborgenen Keimen, die im künftigen Jahre wieder zu 
Salmen und Ähren werden. Lind mit ihrem Äbersluß ernähren sie 
dankbar den Landmann, der den Samen streute, und das Vieh, das 
ihnen den Acker lockerte." 
„Vater," sagte der Kleine, „du bist groß und kannst so weit reichen, 
haue mit deinem Stock die unfruchtbaren Ähren ab!" „Laß sie stehen, 
mein Kind!" entgegnete der Vater, „es gibt unter den Menschen 
auch hohle Köpfe genug, die wir ja doch dulden müssen und nicht ab¬ 
schlagen können." „Sohle Köpfe?" fragte der Knabe verwundert, „wie 
sind die?" 
„Nun, sie sind freilich nicht hohl wie hohle Töpfe, aber man nennt 
sie so, weil sie keine Gedanken haben oder wenigstens nicht solche, die 
der Welt nützen. Äbrigens sehen sie so ziemlich wie die anderen aus. 
Aber gewöhnlich sind sie daran schon zu erkennen, daß sie die Nase 
hoch tragen. Die dummen Menschen sind gewöhnlich eitel und halten 
sich für besser als andere. So möchten sie denn auch über die anderen 
gern hinwegsehen." 
„Aber wie ist das möglich, wenn sie dumm sind?" 
„Sie wissen nicht, wie dumm sie sind. Etwas gibt es immer, 
worauf auch der erbärmlichste Mensch stolz sein kann, z. B. eine schöne 
Gestalt, ein hübsches Gesicht, eine goldene Llhr, ein schönes Kleid; weil 
darin der Wert der Dummen besteht, so sind sie darauf eitel. Sieh, 
die tauben Ähren da wissen auch nichts von ihrer Nichtsnutzigkeit, stehen 
auch da wie ein paar eitle Narren und blicken über die anderen hinweg, 
während die fruchtbaren ihren Wert in sich fühlen! Sieh, wie die 
Körnerreihen aus den Spelzen Hervorschauen! Es wird eine gesegnete 
Ernte geben, trotzdem hin und wieder ein unfruchtbarer Salm steht. 
Die eiteln Narren unter den Menschen schaden auch nicht; sie sind nur 
lächerlich und manchmal unbequem." 
Damit schritten die beiden weiter, und während der Vater den 
Ernteertrag überschlug, dachte der Knabe: „Wenn man klug werden 
will, muß man lernen. Ich werde recht sieißig sein." 
Die beiden langen Salme aber hoben ihre leeren Köpfe womöglich 
noch höher. „Lächerlich!" sagten sie, „was haben wir nötig, Körner
	        
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