Sokrates.
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zog, setzte ihr daselbst der Bildhauer Sokrates erst durch die ihm
eigeuthümliche Disputirweise, dann besonders dadurch Schran¬
ken , daß er die edelsten Jünglinge um sich versammelte und
in ihnen den Sinn für Tugend und Sittlichkeit entflammte.
Er gewöhnte sie an die bestimmten Denkgesetze, die Festhaltnng
richtiger Begriffe und Schlüsse, um dem Truge der Sophisten
zu entgehen und die schändliche Gleichstellung zwischen Tilgend
und Laster zu vernichten, die diese durch ihre falschen Folge¬
rungen hervorgernfen hatten. Während die Sophisten nothwen-
dig dem Bolke alle Moral und allen Glauben entzogen und
dadurch die Grundlage aller Staaten gestürzt hätten, beobach¬
tete Sokrates, dessen Scharfblicke übrigens die sittlichen Mängel
des Polytheismus nicht entgehen konnten, einerseits alle Ge¬
bräuche des Heidenthums und gab andererseits durch persönliche
Unsträflichkeit ein leuchtendes Beispiel, bis zu welcher Höhe ein
sittlicher Mensch sich aufzuschwingen vermöge. Aber von der
Schwachheit der menschlichen Natur überzeugt, sprach er unum¬
wunden den Glauben aus, es würdige ihn die Gottheit durch eine
innere Stimme {öai^oviov) ihrer unmittelbaren Belehrung über
die zufälligen Folgen seiner Handlungen.
9. Tod des Sokrates.
Nachdem er auch im bürgerlichen Leben seine Pflichten
getreu erfüllt und im pelopounesischen Kriege mitgefochten, ward
er das Opfer der von den Spartanern eingesetzten Tyran-
nenherrschast; verurtheilt, den Giftbecher zu trinken, starb er,
zur unauslöschlichen Schande Athens, so ruhig, wie er gelebt
hatte.400 v. Ehr. Er hatte, als er der Sophistik ihr Grab
bereitete und die Gesetze des Denkvermögens wie der Erfor¬
schung der Wahrheit bestimmte, den nachfolgenden Zeiten einen
unendlichen Dienst erwiesen. Der Methode, die er aufstellte
und dem sittlichen Charakter, den er der Philosophie verlieh,
verdankte dieselbe den großartigen Aufschwung, den sie von
nun au nahm. Er hatte in hoher Einfalt ausgesprochen, was
in dem bessern Geiste der Philosophie seiner Zeit gereist war.
Dadurch hatte er die so einflußreiche Schule der attischen Philo¬
sophie eröffnet.