Full text: Lesebuch nebst fachkundlichen Anhängen für Fortbildungs-, Fach- und Gewerbeschulen

meinst, daß du für die Bauernarbeit zu schwach wärst, hättest du nicht 
können ein Almhalter werden oder so was, wo du auf freiet Weid' 
gewesen wärest? Jetzt bist einmal Schneider, so bleib dabei und schick' 
Sich, und wenn dir das Kreuz weh tut vom vielen Sitzen, so denk an 
den da oben, der will's haben, daß der Mensch mit Müh' und Fleiß 
sein Brot verdient. Nur alles schön mit Willen und Geduld, so 
wird's schon gut gehen. In meinem Hause hast heut' angefangen, so 
bin ich dir der Pate fürs Handwerk, und wenn du ein Anliegen hast 
oder eine Klag', so komm zu mir!" 
In meiner Lehrzeit gab's wenig zu klagen; ich hätte mein An¬ 
liegen dem Alpelhofer auch nicht vorbringen können; denn der gute 
Mann ist schon fünf Wochen nach meinem Eintritt ins Handwerk 
gestorben. Derer Rosegger. 
5. Die letzte Nacht im Ellernhause. 
Das griff ans Herz, und ich vergess' es nimmer. 
Ls war die letzte Nacht im Vaterhaus; 
zichn sollt' ich mit dem ersten Frührotschimmer, 
vielleicht auf ewig, in die Welt hinaus. 
Noch lag ich schlaflos auf dem weichen Pfühle; 
denn viel bewegte mir die junge Brust: 
des Heimwehs Vorgefühl, des Scheidens Schwüle 
und Hoffnung doch und rege Wanderlust. 
Da schlug es zwölf. Die Lampe brannte trübe, 
und leise schritt es durch die Kammertür — 
ein Geist erschien mir, doch ein Geist der Liebe; 
denn meiner Mutter gleich erschien er mir. 
Sie nahte still, als wollte sie nicht stören 
des Sohnes, wie sie meinte, tiefe Ruh'. 
Ich hört' sie, doch ich schien sie nicht zu hören; 
ich sah sie, doch ich schloß die Augen zu. 
wie nah' ihr Ddeml Ihre Hände lagen 
auf meinem Haupte wie schon oft zuvor — 
erlauscht' ich auch nicht ihrer Lippen Klagen, 
mein Herz vernahm, was nicht vernahm mein Ghr. 
Dann fühlt' ich ihre Wange auf der meinen — 
warum umschlang ich liebevoll sie nicht, 
als ich sie weinen hörte, schmerzlich weinen, 
und eine Träne fiel auf mein Gesicht? 
Und nochmals neigte sie den Mund, den frommen, 
und küßte leise diese Träne fort. 
Drauf ging sie wieder — still, wie sie gekommen. 
Ich ließ sie gehn und sprach dazu kein Wort. 
— Am Morgen schied ich, ohne ihr zu sagen, 
was ich gesehn, doch wie ein heilig Gut 
treu hab' ich die Erinnerung getragen 
im Kerzen, wo des Menschen Bestes ruht.
	        
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