Full text: Andree-Schillmanns Berliner Schul-Atlas

II. Die verschiedenen Kartennetze. 
Allgemeines. Karten größerer Gebiete bedürfen der Zugrunde¬ 
legung eines Netzes der die letzteren durchziehenden Parallelkreise 
und Meridiane (Gradnetz). 
Infolge der Kugelgestalt der Erde kann nur auf einem guten 
Globus eine ganz entsprechende Darstellung der verschiedenen Ge¬ 
biete ihrer Oberfläche gegeben werden. Will man dasjenige, was in 
der Wirklichkeit die Oberfläche einer Kugel bildet, auf einer ebenen 
Papierfläche darstellen, so ist das, sofern es sich um einigermaßen 
größere Stücke handelt, nur mittels mehr oder minder erheblicher 
Zusammendrückungen, Dehnungen und Verschiebungen möglich, und 
diese unvermeidlichen Störungen müssen um so mehr zunehmen, je 
größere Teile der gesamten Kugeloberfläche so in der Ebene dar¬ 
gestellt werden sollen. 
Um sich dies mit allen sich daraus ergebenden Folgen recht klar zu machen, ver¬ 
suche man, verschieden große Stücke eines hohlen Gum mi balles glatt auf einer Tisch¬ 
platte auszubreiten. Bei ganz kleinen Stücken gelingt das ohne Schwierigkeit. Je größer 
dieselben dagegen sind, desto mehr bauschen sie sich bei dem Versuch, sie auszuebnen, 
und desto mehr muß man hier drücken, dort zerren, wenn man sie gleichwohl eben auf 
dem Tische hinbreiten will. Ist der Gummiball mit irgend einer Darstellung bemalt, so 
zeigt sich dann auch, wie letztere um so mehr Verzerrungen erleidet, je größer die 
Stücke des ganzen Balles sind, die man dergestalt glatt auf der ebenen Fläche auszu¬ 
breiten versucht. 
Es ist daher eine wichtige Aufgabe der Kartendarstellung, diese 
mit der Ausdehnung der darzustellenden Erdräume notwendig 
wachsenden Verzerrungen je nach der Größe der betreifenden 
Gebiete und den besonderen Verhältnissen zweckmäßig zu verteilen 
bezw. es so einzurichten, daß dabei bestimmten Anforderungen un¬ 
mittelbar genügt wird, was freilich dann immer auf Kosten der 
Erfüllung anderer Anforderungen geschehen muß. Hierzu dienen die 
verschiedenen Gradnetzentwürfe (Karten-Projektionen). Es 
gibt deren eine ziemliche Anzahl, von der die einen für diese, die 
anderen für jene Zwecke mehr oder weniger geeignet und vorteilhaft 
sind. Je mehr die verschiedenen Netze in ihrer Einrichtung von 
demjenigen eines guten Globus abweichen, desto größer sind die 
dadurch bedingten Störungen der Bildgestalt. 
Da die Lage jedes Ortes auf der Erdoberfläche durch seine geographische Breite 
und Länge bestimmt wird und daher — abgesehen von der Darstellung ganz kleiner Ge¬ 
biete — nur auf Grund von Gradnetzen brauchbare Karten entworfen werden können, so 
muß natürlich jedesmal die Art, wie in diesen Netzen die Parallelkreis- und Meridian¬ 
linien angelegt sind, dafür entscheidend sein, inwieweit die betreffenden Karten die 
gegenseitigen Lagen- und Entfernungsverhältnisse der verschiedenen Punkte, also auch die 
Gestalt- und Gröflenverhältnisse der bezüglichen Landräume u. s. w- entsprechend wieder¬ 
geben können. Mit der Veränderung des einer Karte zu Grunde gelegten 
Gradnetzes verändert sich demnach auch in demselben Maße das auf 
dieser Grundlage entworfene Bild. 
Im vorliegenden Atlas sind nur möglichst einfache und leicht¬ 
verständliche Gradnetzentwürfe verwendet. 
Erd- und Halbkugelkarten. 
Von selbst leuchtet ein, daß die erwähnten Störungen unver¬ 
meidlich am größten werden müssen, wenn es sich um die Dar¬ 
stellung der ganzen Erdoberfläche handelt. 
Eine Kartendarstellung der ganzen Erdoberfläche kann man 
entweder a) durch Nebeneinanderstellung von Karten der beiden 
Erdhalbkugeln oder auch b) in einem einheitlich zusammenhängenden 
Bilde geben. 
a) Karte der östlichen und westlichen Halbkugel (Karten¬ 
seite 7). Hier wird die Oberfläche jeder dieser beiden Halbkugeln 
in je einer kreisförmigen Karte zur Darstellung gebracht*). Für 
die Anlegung des Gradnetzes gibt es dabei verschiedene Ver¬ 
fahren, von denen natürlich jedes von entsprechender Einwirkung 
auf die Bildgestaltung ist. Das auf Kartenseite 7 angewendete (vgl. 
Fig. 1), die sogenannte Globularprojektion, ist von allen das 
einfachste. 
Netzentwurf. Der Äquator uDd der als Mittelmeridian gewählte 
Meridian (in Fig. 1 der 70.) werden geradlinig als aufeinander senk¬ 
recht stehende Durchmesser des die Halbkugeldarstellung begrenzenden 
Kreises ausgezogen. Sie bilden daher zugleich 4 Halbmesser des 
letzteren, den sie in 4 gleiche Teile (Quadranten) teilen. Hierauf 
werden sowohl jene 4 Halbmesser als diese 4 Quadranten jeder in 
9 gleiche Teile geteilt, von denen jeder 10° bedeutet. So liegen für 
jeden der auszuziehenden Parallelkreise und Meridiane 3 Punkte fest 
und durch diese je 3 Punkte ^werden nun die betreffenden Parallelkreis- 
und Meridianlinien als Kreisbogen**) ausgezogen. 
Folgen für die Bildgestaltung. Vergleicht man das so erhaltene 
Netz nach seinen hauptsächlichen hier in Betracht kommenden 
Eigenschaften mit demjenigen auf einem guten Globus, so ergibt 
sich Folgendes: Jeder Parallelkreis und jeder Meridian ist zwar wie 
auf dem Globus in gleiche Teile geteilt. Aber 
*) Also wie wenn man die Hälfte eines hohlen Gammiballes zu einer kreisrunden 
Fläche ausebnen wollte. 
**) Die Mittelpunkte der bezüglichen Kreise sind auf Grund jener S Punkte jedesmal 
leicht zu finden. 
in 
1. die Meridiane sind nicht gleich lang, sondern der Mittelmeridian 
ist am kürzesten und die übrigen werden gegen den Rand des 
Netzes, den Kreisumfang hin immer größer. (Das Verhältnis 
des Mittelmeridians zu einem der beiden Randmeridiane, d. h. 
in Fig. 1 des 70. zum 160. oder 340. Meridian, ist das Verhältnis 
des Durchmessers zum halben Kreisumfang, d. h. beinahe wie 1:1,6.) 
2. Dem entsprechend laufen die Parallelkreise nicht wie aut dem 
Globus einander parallel, sondern liegen zwar auf dem Mittel¬ 
meridian in demselben Verhältnis wie die Meridiane auf dem 
Äquator voneinander entfernt, laufen aber gegen die Ränder 
hin immer weiter auseinander, sodaß ein Meridiangrad (Breiten¬ 
grad) auf dem Mittelmeridian sich zu einem solchen auf den 
beiden Randmeridianen beinahe wie 1:1,6 verhält. 
3. Parallelkreise und Meridiane stehen (abgesehen vom Mittel¬ 
meridian) nicht wie auf dem Globus senkrecht aufeinander. 
Hieraus ergibt Bich, in welcher Weise und in welchem Maße 
bei der auf ein solches Netz gegründeten Halbkugeldarstellung jene 
an sich unvermeidlichen Störungen stattfinden müssen. Hauptsächlich 
tritt hervor, daß hier vom Mittelmeridian gegen die Randgebiete 
hin alles in nordsüdlicher Richtung um so mehr gedehnt wird, je 
mehr es gegen den Kreisumfang hin gelegen ist (vgl. in Fig. 1 die 
Gradnetzfelder c und p sowie die zwischen beiden gelegenen Felder 
miteinander), während in westöstlicher Richtung eine solche Dehnung 
nicht stattfindet**). 
Ein Maßstab wird Halbkugeldarstellungen nicht beigegeben, 
da dieselben eben wegen der erwähnten, bei ihnen unvermeidlich 
sehr ins Gewicht fallenden Verhältnisse nicht dazu geeignet sind, 
auf ihnen größere Messungen mit dem Maßstabe auszuführen. Die 
auf der Karte angegebene Maßstabszahl bezeichnet das lineare 
Verkleinerungsverhältnis auf dem Äquator und den Mittelmeridianen 
der beiden Halbkugeln. 
Für eine bequeme Überschau über die gesamte Erdober¬ 
fläche hat die Nebeneinanderstellung und Zusammenfiigung zweier 
Halbkugeldarstellungen, wie die Karte S. 7 zeigt, beträchtliche 
Mängel, indem dabei nur in den Äquatorgegenden ein Zusammenhang 
der beiden Abteilungen stattfinden kann, während derselbe in allen 
übrigen geographischen Breiten vollständig zerrissen wird. Gleich¬ 
wohl ist die Anwendung dieser Darstellungsweise auch für die Über¬ 
sicht über die ganze Erdoberfläche unentbehrlich, weil eben allen 
Kartendarstellungen der letzteren in besonderem Maße Mängel an¬ 
haften und bei der Verwendung mehrerer Darstellungsarten die 
Mängel der einen sich zum Teil gegen diejenigen der anderen etwas 
ausgleichen. 
b) Erdkarte in Mercators***) Projektion (Kartenseite 8). 
Netzentwurf (vgl. Fig. 2). Hier wird die gesamte Erdoberfläche mit 
*) Der Raumersparnis wegen ist in Fig. 1 wie ebenso in Fig. 2 und 4 nur die 
nördliche Hälfte ausgeführt. 
**) Weit weniger einfach und durchsichtig sind die verschiedenen anderen Netz¬ 
entwürfe (Projektionen) für Halbkugeldarstellungen, von denen natürlich jeder in seiner 
Weise Gestalt und Eigenschaften des auf Grund desselben erhaltenen Bildes beeinflußt 
und hierbei neben etwaigen Vorteilen in der einen Richtung ebenfalls stets in anderen 
Richtungen auch seine mehr oder minder beträchtlichen Mängel hat. So kann man z. B. 
auch die Forderung der sogenannten „Flächentreue“ als Hauptanforderung obenan¬ 
stellen d. h. das Netz so einrichten, daß jedesmal die zwischen zwei bestimmten Parallel¬ 
kreisen gelegenen Gradnetzfelder unter einander sämtlich denselben und zwar den dem 
Darstellungsmaßstabe nach den wirklichen Verhältnissen entsprechenden Flächeninhalt 
haben (also z. B. in Fig. 1 der Flächeninhalt des Feldes p nur ebenso groß wird wie 
derjenige des Feldes c und ebenso zwischen den anderen Parallelkreisen aie Randfelder 
denselben der Wirklichkeit entsprechenden Flächeninhalt haben wie diejenigen am Mittel¬ 
meridian u. s. w.). Dann muß zu solchem Zwecke gegen die Randgebiete hin für die 
in der einen Richtung stattfindende größere Dehnung durch entsprechende Zusammen¬ 
drückung in der anderen Richtung ein Gegengewicht geschaffen werden. Man muß 
demnach dann in den gegen den Rand hin gelegenen Teilen der Darstellung eine erheb¬ 
liche Gestallverzerrung sowohl in westöstlicher als in nordsüdlicher, also in beiden Haupt¬ 
richtungen, für die Erfüllung der Anforderung der Flächentreue in den Kauf nehmen. 
***) Der Urheber dieser Netzentwurfsart, Gerhard Kremer (f 1594), übersetzte nach 
damals häufigem Brauch seinen Namen ins Lateinische und nannte sich Mercator.j^ 
1*
	        
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