II. Die verschiedenen Kartennetze.
Allgemeines. Karten größerer Gebiete bedürfen der Zugrunde¬
legung eines Netzes der die letzteren durchziehenden Parallelkreise
und Meridiane (Gradnetz).
Infolge der Kugelgestalt der Erde kann nur auf einem guten
Globus eine ganz entsprechende Darstellung der verschiedenen Ge¬
biete ihrer Oberfläche gegeben werden. Will man dasjenige, was in
der Wirklichkeit die Oberfläche einer Kugel bildet, auf einer ebenen
Papierfläche darstellen, so ist das, sofern es sich um einigermaßen
größere Stücke handelt, nur mittels mehr oder minder erheblicher
Zusammendrückungen, Dehnungen und Verschiebungen möglich, und
diese unvermeidlichen Störungen müssen um so mehr zunehmen, je
größere Teile der gesamten Kugeloberfläche so in der Ebene dar¬
gestellt werden sollen.
Um sich dies mit allen sich daraus ergebenden Folgen recht klar zu machen, ver¬
suche man, verschieden große Stücke eines hohlen Gum mi balles glatt auf einer Tisch¬
platte auszubreiten. Bei ganz kleinen Stücken gelingt das ohne Schwierigkeit. Je größer
dieselben dagegen sind, desto mehr bauschen sie sich bei dem Versuch, sie auszuebnen,
und desto mehr muß man hier drücken, dort zerren, wenn man sie gleichwohl eben auf
dem Tische hinbreiten will. Ist der Gummiball mit irgend einer Darstellung bemalt, so
zeigt sich dann auch, wie letztere um so mehr Verzerrungen erleidet, je größer die
Stücke des ganzen Balles sind, die man dergestalt glatt auf der ebenen Fläche auszu¬
breiten versucht.
Es ist daher eine wichtige Aufgabe der Kartendarstellung, diese
mit der Ausdehnung der darzustellenden Erdräume notwendig
wachsenden Verzerrungen je nach der Größe der betreifenden
Gebiete und den besonderen Verhältnissen zweckmäßig zu verteilen
bezw. es so einzurichten, daß dabei bestimmten Anforderungen un¬
mittelbar genügt wird, was freilich dann immer auf Kosten der
Erfüllung anderer Anforderungen geschehen muß. Hierzu dienen die
verschiedenen Gradnetzentwürfe (Karten-Projektionen). Es
gibt deren eine ziemliche Anzahl, von der die einen für diese, die
anderen für jene Zwecke mehr oder weniger geeignet und vorteilhaft
sind. Je mehr die verschiedenen Netze in ihrer Einrichtung von
demjenigen eines guten Globus abweichen, desto größer sind die
dadurch bedingten Störungen der Bildgestalt.
Da die Lage jedes Ortes auf der Erdoberfläche durch seine geographische Breite
und Länge bestimmt wird und daher — abgesehen von der Darstellung ganz kleiner Ge¬
biete — nur auf Grund von Gradnetzen brauchbare Karten entworfen werden können, so
muß natürlich jedesmal die Art, wie in diesen Netzen die Parallelkreis- und Meridian¬
linien angelegt sind, dafür entscheidend sein, inwieweit die betreffenden Karten die
gegenseitigen Lagen- und Entfernungsverhältnisse der verschiedenen Punkte, also auch die
Gestalt- und Gröflenverhältnisse der bezüglichen Landräume u. s. w- entsprechend wieder¬
geben können. Mit der Veränderung des einer Karte zu Grunde gelegten
Gradnetzes verändert sich demnach auch in demselben Maße das auf
dieser Grundlage entworfene Bild.
Im vorliegenden Atlas sind nur möglichst einfache und leicht¬
verständliche Gradnetzentwürfe verwendet.
Erd- und Halbkugelkarten.
Von selbst leuchtet ein, daß die erwähnten Störungen unver¬
meidlich am größten werden müssen, wenn es sich um die Dar¬
stellung der ganzen Erdoberfläche handelt.
Eine Kartendarstellung der ganzen Erdoberfläche kann man
entweder a) durch Nebeneinanderstellung von Karten der beiden
Erdhalbkugeln oder auch b) in einem einheitlich zusammenhängenden
Bilde geben.
a) Karte der östlichen und westlichen Halbkugel (Karten¬
seite 7). Hier wird die Oberfläche jeder dieser beiden Halbkugeln
in je einer kreisförmigen Karte zur Darstellung gebracht*). Für
die Anlegung des Gradnetzes gibt es dabei verschiedene Ver¬
fahren, von denen natürlich jedes von entsprechender Einwirkung
auf die Bildgestaltung ist. Das auf Kartenseite 7 angewendete (vgl.
Fig. 1), die sogenannte Globularprojektion, ist von allen das
einfachste.
Netzentwurf. Der Äquator uDd der als Mittelmeridian gewählte
Meridian (in Fig. 1 der 70.) werden geradlinig als aufeinander senk¬
recht stehende Durchmesser des die Halbkugeldarstellung begrenzenden
Kreises ausgezogen. Sie bilden daher zugleich 4 Halbmesser des
letzteren, den sie in 4 gleiche Teile (Quadranten) teilen. Hierauf
werden sowohl jene 4 Halbmesser als diese 4 Quadranten jeder in
9 gleiche Teile geteilt, von denen jeder 10° bedeutet. So liegen für
jeden der auszuziehenden Parallelkreise und Meridiane 3 Punkte fest
und durch diese je 3 Punkte ^werden nun die betreffenden Parallelkreis-
und Meridianlinien als Kreisbogen**) ausgezogen.
Folgen für die Bildgestaltung. Vergleicht man das so erhaltene
Netz nach seinen hauptsächlichen hier in Betracht kommenden
Eigenschaften mit demjenigen auf einem guten Globus, so ergibt
sich Folgendes: Jeder Parallelkreis und jeder Meridian ist zwar wie
auf dem Globus in gleiche Teile geteilt. Aber
*) Also wie wenn man die Hälfte eines hohlen Gammiballes zu einer kreisrunden
Fläche ausebnen wollte.
**) Die Mittelpunkte der bezüglichen Kreise sind auf Grund jener S Punkte jedesmal
leicht zu finden.
in
1. die Meridiane sind nicht gleich lang, sondern der Mittelmeridian
ist am kürzesten und die übrigen werden gegen den Rand des
Netzes, den Kreisumfang hin immer größer. (Das Verhältnis
des Mittelmeridians zu einem der beiden Randmeridiane, d. h.
in Fig. 1 des 70. zum 160. oder 340. Meridian, ist das Verhältnis
des Durchmessers zum halben Kreisumfang, d. h. beinahe wie 1:1,6.)
2. Dem entsprechend laufen die Parallelkreise nicht wie aut dem
Globus einander parallel, sondern liegen zwar auf dem Mittel¬
meridian in demselben Verhältnis wie die Meridiane auf dem
Äquator voneinander entfernt, laufen aber gegen die Ränder
hin immer weiter auseinander, sodaß ein Meridiangrad (Breiten¬
grad) auf dem Mittelmeridian sich zu einem solchen auf den
beiden Randmeridianen beinahe wie 1:1,6 verhält.
3. Parallelkreise und Meridiane stehen (abgesehen vom Mittel¬
meridian) nicht wie auf dem Globus senkrecht aufeinander.
Hieraus ergibt Bich, in welcher Weise und in welchem Maße
bei der auf ein solches Netz gegründeten Halbkugeldarstellung jene
an sich unvermeidlichen Störungen stattfinden müssen. Hauptsächlich
tritt hervor, daß hier vom Mittelmeridian gegen die Randgebiete
hin alles in nordsüdlicher Richtung um so mehr gedehnt wird, je
mehr es gegen den Kreisumfang hin gelegen ist (vgl. in Fig. 1 die
Gradnetzfelder c und p sowie die zwischen beiden gelegenen Felder
miteinander), während in westöstlicher Richtung eine solche Dehnung
nicht stattfindet**).
Ein Maßstab wird Halbkugeldarstellungen nicht beigegeben,
da dieselben eben wegen der erwähnten, bei ihnen unvermeidlich
sehr ins Gewicht fallenden Verhältnisse nicht dazu geeignet sind,
auf ihnen größere Messungen mit dem Maßstabe auszuführen. Die
auf der Karte angegebene Maßstabszahl bezeichnet das lineare
Verkleinerungsverhältnis auf dem Äquator und den Mittelmeridianen
der beiden Halbkugeln.
Für eine bequeme Überschau über die gesamte Erdober¬
fläche hat die Nebeneinanderstellung und Zusammenfiigung zweier
Halbkugeldarstellungen, wie die Karte S. 7 zeigt, beträchtliche
Mängel, indem dabei nur in den Äquatorgegenden ein Zusammenhang
der beiden Abteilungen stattfinden kann, während derselbe in allen
übrigen geographischen Breiten vollständig zerrissen wird. Gleich¬
wohl ist die Anwendung dieser Darstellungsweise auch für die Über¬
sicht über die ganze Erdoberfläche unentbehrlich, weil eben allen
Kartendarstellungen der letzteren in besonderem Maße Mängel an¬
haften und bei der Verwendung mehrerer Darstellungsarten die
Mängel der einen sich zum Teil gegen diejenigen der anderen etwas
ausgleichen.
b) Erdkarte in Mercators***) Projektion (Kartenseite 8).
Netzentwurf (vgl. Fig. 2). Hier wird die gesamte Erdoberfläche mit
*) Der Raumersparnis wegen ist in Fig. 1 wie ebenso in Fig. 2 und 4 nur die
nördliche Hälfte ausgeführt.
**) Weit weniger einfach und durchsichtig sind die verschiedenen anderen Netz¬
entwürfe (Projektionen) für Halbkugeldarstellungen, von denen natürlich jeder in seiner
Weise Gestalt und Eigenschaften des auf Grund desselben erhaltenen Bildes beeinflußt
und hierbei neben etwaigen Vorteilen in der einen Richtung ebenfalls stets in anderen
Richtungen auch seine mehr oder minder beträchtlichen Mängel hat. So kann man z. B.
auch die Forderung der sogenannten „Flächentreue“ als Hauptanforderung obenan¬
stellen d. h. das Netz so einrichten, daß jedesmal die zwischen zwei bestimmten Parallel¬
kreisen gelegenen Gradnetzfelder unter einander sämtlich denselben und zwar den dem
Darstellungsmaßstabe nach den wirklichen Verhältnissen entsprechenden Flächeninhalt
haben (also z. B. in Fig. 1 der Flächeninhalt des Feldes p nur ebenso groß wird wie
derjenige des Feldes c und ebenso zwischen den anderen Parallelkreisen aie Randfelder
denselben der Wirklichkeit entsprechenden Flächeninhalt haben wie diejenigen am Mittel¬
meridian u. s. w.). Dann muß zu solchem Zwecke gegen die Randgebiete hin für die
in der einen Richtung stattfindende größere Dehnung durch entsprechende Zusammen¬
drückung in der anderen Richtung ein Gegengewicht geschaffen werden. Man muß
demnach dann in den gegen den Rand hin gelegenen Teilen der Darstellung eine erheb¬
liche Gestallverzerrung sowohl in westöstlicher als in nordsüdlicher, also in beiden Haupt¬
richtungen, für die Erfüllung der Anforderung der Flächentreue in den Kauf nehmen.
***) Der Urheber dieser Netzentwurfsart, Gerhard Kremer (f 1594), übersetzte nach
damals häufigem Brauch seinen Namen ins Lateinische und nannte sich Mercator.j^
1*