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Der zweite punische Krieg.
Heer, kennt kein Zagen. Neun Tage währte es, ehe die Höhen erreicht wa¬
ren. Tausende von den Soldaten hatten ihren Tod gefunden; Pferde
und Lastthiere hatten oft, wenn sie hinadstürzten, große Massen der
Nachsteigenden mit sich fortgerissen. Auf den hohen Schneegesilden an¬
gekommen, gestattete der Führer eine zweitägige Rast und ermuthigte
durch die Hinweisung auf die lieblichen Gefilde Italiens, die in weiter
Ferne tief unten sich zeigten. Noch mühevoller war aber das Hinabsteigen
von den Bergen. Menschen und Thiere glitten auf den schlüpfrigen
Pfaden und stürzten in die Tiefe oder sie versanken in dem hohen
Schnee. Endlich nach einem fünfzehntägigen Gebirgsmarsche gelangte
das Heer in die Ebene. Aber wie war es zusammengeschmolzen! Von
den 59,000 Mann waren nur noch 26,000 übrig und doch sollte jetzt
der Kampf mit dem Feinde erst beginnen. Er begann. Einen Vor¬
theil nach dem andern errang Hannibal über die römischen Heere, die
ihm entgegengeschickt wurden, bis der Feldherr Fabius die Ober-An-
führung der römischen Truppen erhielt. Dieser beobachtete eine ganz
cigenthümliche Kriegsführung. An dem Abhange der Apenninen schlug
er sein Lager auf und behielt die Punicr beständig im Auge, ein Zu¬
sammentreffen mit ihnen vermied er; sobald sie sich regten, brach auch
er auf und folgte ihren Bewegungen. Dadurch hielt er sie von großen
Unternehmungen ab und fand nebenbei Gelegenheit, kleinere Heeres-
Abtheilungen, die nach Lebensmitteln ausgeschickt waren, zu schlagen.
Einmal hatte er die Punier so cingeschlossen, daß ein Entkommen der¬
selben kaum möglich zu sein schien. Hannibal rettete sich auch nur
durch eine Kriegslist. Er ließ eine Heerde von 2000 Rindern zusam-
menbringen, ließ denselben Reisbündel zwischen die Hörner binden, die
Bündel auf ein gegebenes Zeichen anzündcn und die Rinder gegen den
Feind treiben. Unter den römischen Soldaten entstand, als das ganze Lager
in Brand gerathen zu sein schien, allgemeine Verwirrung, und diese be¬
nutzten die Punier zur Flucht. Eine Schlacht vermied Fabius
noch immer, und man nannte ihn deshalb spottweise den Zauderer
(Cunctator). - Aber durch nichts konnte er dem Hannibal so gefährlich
werden, als durch dieses Zaudern. Als die Römer, mit seiner Kriegs-
führung unzufrieden, einen zweiten Feldherrn ihm an die Seite gestellt
hatten, machte dieser sogleich einen Angriff gegen die Punier, er wäre
aber gänzlich geschlagen worden, wenn nicht Fabius ihm zu Hülfe
geeilt wäre. Bei dieser Gelegenheit sagte. Hannibal scherzend in Bezug
auf Fabius: „da hat doch die Wolke, die immer auf den Bergen lag,
endlich ein Ungewitter gebracht." Jetzt wurde es von den Römern erst
erkannt, wie weise Fabius gehandelt habe, und der Name Zauderer
ward ihm ein ehrender Beiname.