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Das zu Anfang so ruhmreiche Herrschergeschlecht der Karolinger nahm
iu allen drei Reichen an Macht und Ansehen noch rascher ab. als früher
das Geschlecht der Merowinger. Die Nachkommen Lothars starben schon
im Jahre 875 aus. Da kam es zwischen den deutschen und französischen
Karolingern wegen der Erbschaft zum Kriege. Karl der Kahle, der schon das
ganze linke Rheinufer besetzt hatte, um es seinem Reiche einzuverleiben, wurde
auf dem Maifelde zwischen Koblenz und Andernach in einer blutigen
Schlacht besiegt. Ganz Lothringen wurde darauf mit dem deutschen
Reiche vereinigt. Wie Straßburg und Mainz, so blieben von dieser
Zeit an auch die wichtigen Städte Köln, Aachen, Trier, Koblenz mit Deutsch¬
land verbunden. Auch über die Niederlande herrschte der deutsche König.
Italien aber, auf dem die Kaiserwürde haftete, blieb stets ein Zankapfel;
gar manche blutige Kriege sind um den Besitz dieses Landes geführt worden.
Viele deutsche Könige sind nachmals nach Rom gegangen, um sich vom
Papste krönen zu lassen. Doch mußten sie sich die Krone meistens erst er¬
kämpfen. Darum hat auch der große, friedliebende König Rudolph von
Habs bürg sich mit seiner Königswürde begnügen wollen und sich nicht ent¬
schließen können, nach Rom zu ziehen. Diese Stadt sei der Höhle des Lö¬
wen zu vergleichen, sagte er einmal; gar viele Fußtapfen führten hinein,
aber keine wieder heraus.
In Deutschland starb das Geschlecht der Karolinger im Jahre 911 mit
Ludwig dem Kinde aus. „Wehe dem Lande, deß König ein Kind ist!" steht
in der heiligen Schrift. Und das hat unser deutsches Vaterland damals
genugsam erfahren. Von außen kamen Jahr für Jahr Witte Feinde. die
das Land verwüsteten, das Volk beraubten und Viele in- die Gefangenschaft
schleppten. Von Norden her kamen die Normannen, die auf leichten
Kähnen vom Meere her die Ströme hinauf fuhren und Städte und Dörfer
plünderten und brandschatzten. Selbst bis in die Gegend von Aachen und
Köln sind sie vorgedrungen. Die Könige waren zu schwach, ihnen Wider¬
stand zu leisten; statt gegen sie zu Felde zu ziehen, erkauften sie den Frie¬
den. Nur der deutsche König Arnulph besiegte sie in einer großen Schlacht
bei Löwen in den Niederlanden (891), so daß sie das Wiederkommen für
längere Zeit vergaßen.
Raubgieriger und blutdürstiger noch waren die Ungarn, die alljähr¬
lich auf schnellen Rossen aus den Ebenen au der Donau hervorbrachen, das
ganze östliche und mittlere Deutschland durchzogen und Menschen und Vieh
als Beute mit sich schleppten. Erst Kaiser Heinrich konnte Deutschland
aus dieser Noth erretten.*) Derselbe mächtige Herrscher hat auch die Wen¬
den im Zaume gehalten, die nach der Völkerwanderung das Land zwischen
Elbe und Oder besetzt hatten und ebenfalls Raubzüge über die Elbe unter¬
nahmen. Da hat nun Heinrich diesseit der Elbe, nördlich von der Stelle,
wo jetzt Magdeburg liegt, aus einem Stück des Grenzlandes eine Mark
begründet, hat einen tapfern Mann als Markgrafen eingesetzt, der an der
Spitze einer Schaar von Kriegern die Grenze gegen den Feind beschützen
sollte, und hat dadurch den ersten Grund zur Enistehung des preußischen
Staates gelegt. Denn ein späterer Markgraf, Albrecht der Bär, hat
diese Mark Nordsachsen zur Markgrafschaft Brandenburg erweitert,
aus der denn allmälig der Preußische Staat hervorgegangen ist.**)
*) S. 252. **) S. »37.