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ihre Viehzucht; ihr Hauptnahrungszweig aber war die Jagd. Einen
einfachen Petz über die Schultern, und nur mit Lanze, Bogen und
Pfeilen bewaffnet, durchdrängen sie die dichten Wälder, traten kühn
den stärksten Thieren entgegen und erlegten sie. Je wilder und
furchtbarer das Thier, desto größer war der Reiz; denn sie liebten
Gefahr und Anstrengung. Eine Jagd ohne alle Gcfabr, eine Jagd
aus kleine Thiere, die nur cutweichen, nicht aber sich zu Wehre
setzen, würde ihnen kindisch und langweilig geschienen haben. So
lebten unsere Väter den ganzen Tag in der freien Natur. Jbr
hoher Wuchs, die breite, gewölbte Brust, die kräftigen Arme und
Beine waren wirklich riesenhast; und diesen starken Körper zierten
schöne, blaue Augen und langes, hellblondes Haar, daß entweder
in glänzenden Locken über die Schultern hinabfloß oder, auf dem
Scheitel zusammengebunden, wie ein Federbusch schrecklich emporragte.
Die Kinder der Deutschen wuchsen in voller Natürlichkeit heran,
ähnlich den Lämmchen aus der Weide und den jungen Rehen im
Walde. Bis zu ihrem zwölften Jahre fast unbekleidet umherlaufend,
kräftigten sic ihre jungen Glieder durch das Leben in der freien Na¬
tur und durch häufiges Baden zu jeder Jahreszeit. War der Knabe
zum Jünglinge herangewachsen, so wurde er in die Gesellschaft der
Erwachsenen geführt und feierlich zum wehrhaften Mitgliede der Ge¬
meinde aufgenommen. Das war für ihn ein lang ersehntes Fest;
denn von nun an durfte er den heimathlichen Herd vertheidigen
helfen, durfte mitziehen in den Krieg und Theil nehmen an Kampf
und Ehre. Seine Waffen waren daher auch sein kostbarstes Gut,
und nie trennte er sich. wieder davon.
Die Hauptwaffen der Deutschen waren Schild und Lanze. Das
Schild war von Holz, oft auch bloß aus Weidenruthen "geflochten;
es diente dazu, den Körper zu decken und die-feindlichen Pfeile auf¬
zufangen. Statt der Helme trugen sie wohl auch Felle wilder Thiere,
und zwar so, daß die dicke Kopfhaut ihnen das Haupt bedeckte ; Nachen
und Hörner ragten dann drohend über ihrem Kopfe empor dem Feinde
entgegen und gaben dem Heere ein furchtbares, schreckencrregendes An¬
sehen. In der Schlacht waren mit der Reiterei gewöhnlich leichte
Fußgänger vermischt, welche an den Mähnen der Pferde sich fest¬
haltend, mit Blitzesschnelle auf die feindlichen Reihen stürzten und im Au¬
genblicke der Gefahr mit der Reiterei el'cn so schnell wieder verschwanden.
Jeder freie*) Deutsche war Krieger und mußte bei eintretender Ge-
*) Das Volk der Deutschen bestand aus Freien oder Fri ltng cn und
Unfreien. Die Freien waren die Grundeigcnthümer, und in späterer
Zeit nannte man die Besitzer größerer Grundstücke Adel! nge. Zu den
Unfreien gehörten die H i n t e r s a ss e n und Leibeigenen (auch -Sa ss r n
und Hörige). Erstere empfingen vom freien Grundherrn Wohnung; Hof