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Deutschlands Erhebung.*)
In dem Jahre 1813 stand der größte Theil des deutschen Volks
wie zu einer Völkerwanderung auf. Es war als wenn ein elektrischer
Schlag Alle mit neuer Kraft und einem zuvor noch nie empfundenen
Feuer durchzuckte. Von den Universitäten strömten die Jünglinge
zu den Waffen, sa, was sich kräftig genug fühlte, war selbst auf
den Gymnasien nicht mehr zurück zu halten. Mit den Schülern
standen Lehrer auf und vertauschten die Feder mit dem Freiheits¬
schwerte. Die Kaufläden und Komptoirstuben, die Werkstätten der
Künstler und Handwerker, Edelhöfe, Pacht- und Bauerhöfe wurden
leer von jungen Männern, welche ein Herz voll Muth und einen
kräftigen Arm hatten. Ein Theodor Körner, der als Dichter in
den angenehmsten Verhältnissen zu Wien lebte und Bräutigam einer
der liebenswürdigsten Jungfrauen war, säumte keinen Augenblick,
die Leier mit dem Schwerte zu vertauschen. »Deutschland steht auf,«
schrieb er seinem Vater, »der preußische Adler erweckt in allen treuen
Herzen durch seine Flügelschläge die großen Hoffnungen einer deut¬
schen Freiheit. Meine Kunst seufzt nach ihrem Väterlande. Laß
mich ihr würdiger Jüngling sein! — Eine große Zeit will große
Herzen, ich fühle die Kraft in mir, eine Klippe sein zu können in
dieser Völkerbrandung; — ich muß hinaus und dem Wogensturm
die muthige Brust entgegendrücken. Soll ich in feiger Begeisterung
meinen siegenden Brüdern ineinen Jubel nachleiern? Ich weiß, Du
wirst manche Unruhe erleiden müssen; die Mutter wird weinen.
Gott tröste sie! Ich kann's Euch nicht ersparen. Daß ich mein Leben
wage, das gilt nicht viel, daß aber dies Leben mit allen Blüthen-
kränzen der Liebe, der Freundschaft und der Freude geschmückt ist,
und daß ich es doch wage, daß ich die süße Empfindung hinwerfe,
die mir in der Ueberzengung lebt, Euch keine Unruhe, keine Angst
zu bereiten, das ist ein Opfer, dem nur ein solcher Preis entgegen¬
gestellt werden darf.«
So unwiderstehlich war der Strom, der Alles mit sich fortriß,
daß selbst beherzte Frauen und Jungfrauen nicht abzuhalten waren,
unter dem Jägermantel das zarte Geschlecht zu verbergen und mit
der Büchse, ja mit dem Säbel in der Hand, selbst zu Rosse, sich
dem zum Schwertertänze ziehenden Schaaren kampflustig anzuschließen.
Wer hat nicht gehört von jener Marie Werder, welche, kinder¬
los, schon 1806 mit ihrem Gatten ihr kleines Erbgut unweit Sagan
in Schlesien verlassen hatte, um sich der Freischaar des Fürsten von
Pleß anzuschließen, und 1813 dem Aufrufe des geliebten Königs
wohlberitten zum zweiten schlesischen Husaren-Regimenté folgte, bei
welchem sie bald zum Wachtmeisteramte aufstieg, den Gatten selbst,
*) Nach Nagel.