II. Zeitraum. Die Völker des Alterthums h.
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kunstvollsten Arbeit tragen die ungeheure Decke, welche aus großen, gehauenen
Steinblöcken besteht und mit goldenen Sternen auf blauem Grunde besäet
ist. An einigen Wänden sind kolossale Figuren in Stein gehauen, an an¬
dern sind die Thaten des Königs dargestellt. Da sieht man den König, der
sich durch die Größe von seinen Begleitern unterscheidet, auf seinem Kriegs¬
wagen, mit Lanze, Bogen und Pfeilen bewaffnet, wie er durch seine Ge¬
schosse eine furchtbare Niederlage unter den Feinden anrichtet. Neben ihm
ist sein Heer aufgestellt, gegenüber die Feinde, welche sich auf's genaueste
durch ihre Kleidung und Rüstung von den Aegyptern unterscheiden. An einer
andern Wand ist eine Löwenjagd abgebildet, wieder König, auf einem ge-
tödteten Löwen stehend, einen zweiten mit dem Pfeile erlegt; an einer dritten
erblickt man einen Siegeszug von festlich geschmückten Kriegern und Prie¬
stern; endlich auch Scenen aus dem häuslichen Leben der Könige. Leicht
nur die Umrisse dieser Gestalten sind deutlich zu erkennen, auch ihre Farben
haben sich nach einer Dauer von mehreren Tausend Jahren in ihrer ganzen
Pracht und Frische erhalten. Von vielen Palästen und Tempeln stehen nur
noch die Säulen, welche die Decke trugen; diese sind aber durch ihre wun¬
derbare Verzierung höchst merkwürdig. Statt des gewöhnlichen Aufsatzes
ist nämlich irgend ein Thier, ein Elephant, ein Löwe, ein Widder in Stein
gehauen, und scheint so die Last der Decke zu tragen. Oft sehen wir auch
Götter - und Menschengestalten abgebildet, welche die Steinblöcke auf ihren
Schultern halten. So gibt es darin große Hallen, in denen jeder Pfeiler
das Bildniß einer Gottheit enthält. Andere Tempel enthielten gar keine
Göttergestalten; da wurde die Gottheit in irgend einem lebendigen Thiere
verehrt, das ihr geheiligt war. Auch von diesen Tempeln berichtet ein alter
Reisender, daß es die prachtvollsten Gebäude gewesen, die er je gesehen
habe, und daß sie von Gold, Silber und Edelsteinen geglänzet. „Die hei¬
ligen Orte in denselben", fügt er hinzu, „waren mit purpurnen, gvtddurch-
wirkten Schleiern verhüllt; und wenn man etwa die Bildsäule des Gottes
suchte, so trat ein Tempeldiener, eine Hymne singend, in rechter Feierlichkeit
hervor und lüftete den Schleier, um den Gott zu zeigen. Der Gott der .
Aegypter erschien, nämlich ein Krokodil, eine Katze, eine Schlange, der
storchartige Vogel Ibis oder sonst ein Thier, das sich auf einem Purpur¬
teppich wälzte. Die höchste Verehrung genoß ein Ochs, Namens Apis.
Wenn er starb, herrschte Trauer im ganzen Lande, und diese hörte erst
wieder aus, wenn die Priester einen Nachfolger für ihn gefunden hatten.
Dieser mußte von schwarzer Farbe sein, mit einem weißen Dreieck auf der
Stirn, einem weißen halbmondförmigen Fleck aus der Seite und einem Kno¬
ten unter der Zunge.
Nicht nur die Tempel und Paläste Thebens waren mit steinernen Göt¬
ter- und Thiergestalten angefüllt, sondern auch der Raum zwischen denselben
war mit Kolossen der seltsamsten Art bedeckt, von denen sich ein großer Theil
bis auf den heutigen Tag erhalten hat. So findet man auf einem Felde am
linken Nilufer 17 theils aufrechtstehende, theils umgestürzte Kolosse, von
denen jeder 60^ Höhe hat; und auf dem gegenüber liegenden Ufer sind ganze
Alleen von Sphinx-Kolossen, von denen die eine 200, eine andere sogar 600
dieser seltsamen Gebilde enthalten haben muß.