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Da fand ich ein Meer, das Wellen schlug,
ein Schiffer warf die Netze frei,'
und als er ruhte vom schweren Zug,
fragt' ich, seit wann das Meer hier sei?
Lr sprach und lachte meinem wort:
,,Solang als schäumen die Wetter dort,
fischt man und fischt man in diesem Port."
Und aber nach fünfhundert Jahren
kam ich desselbigen Wegs gefahren.
Da fand ich einen waldigen Uaum
und einen Mann in der Siedelei,'
er fällte mit der Uxt den Daum.
Ich fragte, wie alt der Wald hier sei?
Lr sprach: ,,Der Wald ist ein ewiger Hort;
schon ewig wohn' ich an diesem Grt,
und ewig wachsen die Bäum' hier fort."
Und aber nach fünfhundert Jahren
kam ich desselbigen Wegs gefahren.
Da fand ich eine Stadt, und laut
erschallte der Markt vom Dolksgeschrei.
Ich fragte: ,,Seit wann ist die Stadt erbaut?
Wohin ist Wald und Meer und Ichalmei?"
Sie schrien und hörten nicht mein Wort:
„Io ging es ewig an diesem Grt
und wird so gehen ewig fort."
Und aber nach fünfhundert Jahren
will ich desselbigen Weges fahren.
Friedrich Uückert.
94. Heiligtümer und Festfeier der Germanen.
l.
n Waldestiefen an Stellen, wo uralte Bäume in Lufthöhen leis
ihre Wipfel regten und durch geheimnisvolle Stille ein Schauer
der Ehrfurcht wehte, kamen die Germanen gern zusammen,
um Gott zu verehren. Noch lange Zeit im Mittelalter wollte
das Gedenken an die uralten heiligen ftaine nicht verschwinden,'
ihnen wurde, wie es scheint, vorzugsweise der Name „loh" gegeben.
Solche Plätze voll hehrer Schönheit gab es auch am Seeufer, wo man
die wogende Wassergewalt überschaute, oder am Bergesabhang, wo der
frische Guell hervorsprang, oder wo erhabene Felsen emporstiegen. Nn
diesen heiligen Stätten hafteten Sagen und Erinnerungen, und dorthin
zogen von weit und breit die Umwohnenden an gewissen Tagen des