Full text: Lehrbuch der Weltgeschichte

Allgemeiner Ueberblick. 
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Jahre 1848? Zwar wird jetzt das Volk sowohl in der Republik Frank¬ 
reich , als auch in den Monarchieen Deutschlands und anderwärts mit 
eiserner Hand niedergehalten, aber diese Ruhe ist nicht die der Zustim¬ 
mung mit den Regierungsmaaßregeln, es ist die Ruhe des verbissenen 
Grolls, welche anzeigt, dass der Cyklus der Revolutionen noch nicht 
geendet ist. Wir leben mitten im letzten Zeitalter der Geschichte, dem 
Zeitalter der Revolution. 
Keine Epoche der Geschichte bietet solche Schwierigkeiten dar in der 
Erzählung, als die französische Revolution. Nicht allein, dass die 
Masse des Merkwürdigen den Schriftsteller fast erdrückt, die schnelle 
Folge der Ereignisse ihn betäubt, so bedingt die Erzählung keiner Periode 
das Erforderniss der größten historischen Kunst in so hohem Grade, 
als diese. Die Revolution von ihrem Anfänge bis zu dem Sturze des 
Bändigers derselben, Napoleon's, ist geradezu die Weltgeschichte. Welche 
Kette von berühmten Männern, wichtigen Ereignissen, denkwürdigen 
Tagen, großartigen Siegen, neuen Schöpfungen, ununterbrochenen Um¬ 
wälzungen, deren jedes Einzelne Stoff genug gäbe zu einer eigenen Ge¬ 
schichte. Und nun erst das ungeheure Ganze! An der Darstellung 
dieses gewaltigen Stoffes stnd schon die gewandtesten Federn zu Schan¬ 
den geworden. Dazu kommt, dass wir der Revolution der Zeit nach 
noch viel zu nahe stehen und dass darum der richtige Standpunkr vollkom¬ 
menster Parteilosigkeit noch nicht gewonnen werden kann. Ferner sind 
noch manche Dunkelheiten aufzuhellen, manche Charaktere und Thaten 
genauer zu prüfen, so dass der historischen Kritik noch eine uuermess^ 
liche Arbeit der Sichtung Vorbehalten bleibt, ehe es gelingen kann, das 
Ganze vom rechten historischen Standpunkte aus zusammenzufassen. 
Und dann, wenn diese Bedingungen alle erfüllt sein werden, gehören 
günstigere Zeiten zu einer solchen Darstellung. Unsere Tage sind 
nicht geeignet, die Schwingen des Geistes zu kühnem Ausfluge anzu¬ 
spornen. Einer späteren Zeit ist solches Vorbehalten, und wenn Europa 
eine solche Zeit überhaupt nicht sehen sollte, so wird Amerika den Ge¬ 
schichtsschreiber unserer Zeiten liefern, welcher nicht Ursache haben wird, 
gleich den europäischen Schriftstellern, bei jedem niederzuschreibenden 
Buchstaben an das charakterisirende Wort, dass „die Wahrheit sich bloö 
auf den Sarg der Könige setze", zu denken. In Europa ist es so, und 
nicht anders; hier darf, natürlich mit der gehörigen Vorsicht, nur das 
Portoetum llistorieum angewendet werden, aber nie das Praesens, und 
das nennt man europäische Pressfreiheit! Je nachdem die Zukunft fich 
in Europa entwickeln wird (wer vermöchte das Kommende auch nur zu 
ahnen?), wird Amerika, wo der Genius der Freiheit eine heilige Stätte 
gefunden, entweder mit Zinseszins uns zurückbringen alle Segnungen 
der Freiheit, oder Blicke des Mitleids und der Verachtung herübersenden 
auf den „entarteten Erdtheil". 
Die Schwierigkeiten der geschichtlichen Darstellung dieser Periode
	        
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