Full text: [Teil 4 = Kl. 6 (5. Schulj.), [Schülerband]] (Teil 4 = Kl. 6 (5. Schulj.), [Schülerband])

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6. Der Staunende wird angestaunt ringsum, 
Man fragt nach Namen, fragt nach dem Begehr. 
Er sagt's, da murmelt man durchs Heiligtum: 
„Dreihundert Jahre hieß so niemand mehr." 
7. „Der letzte dieses Namens," tönt es dann, 
„Er war ein Zweifler und verschwand im Wald; 
Man gab den Namen keinem mehr fortan." — 
Er hört das Wort, es überläuft ihn kalt. — 
8. Er nennet nun den Abt und nennt das Jahr, 
Man nimmt das alte Klosterbuch zur Hand; 
Da wird ein großes Gotteswunder klar: 
Er ist's, der drei Jahrhunderte verschwand. 
9. Ha, welche Lösung! Plötzlich graut sein Haar, 
Er sinkt dahin und ist dem Tod geweiht, 
Und sterbend mahnt er seine Brüderschar: 
„Gott ist erhaben über Ort und Zeit. 
10. Was er verhüllt, macht nur ein Wunder klar! 
Drum grübelt nicht, denkt meinem Schicksal nach! 
Ich weiß, ihm ist ein Tag wie tausend Jahr', 
Und tausend Jahre sind ihm wie ein Tag." 
Wolfgang Müller. 
75. Der Drachenfels. 
Unter den Siebenbergen hebt sich der Drachenfels mit seinen 
Ruinen am kecksten am Rhein empor. In uralter Zeit, so er¬ 
zählt die Sage, lag hier in einer Höhle ein Drache, dem die 
Anwohner göttliche Verehrung erwiesen und ihm Menschenopfer 
brachten. Gewöhnlich wurden dazu Gefangene gewählt, die man 
im Kriege gemacht hatte. Unter den Gefangenen befand sich 
einmal eine Jungfrau von vornehmer Geburt und war eine 
Christin. Sie war von hoher Schönheit, und zwei Anführer 
stritten sich um ihren Besitz. Da entschieden die Ältesten, daß 
sie dem Drachen vorgeworfen werden sollte, damit keine Zwie¬ 
tracht unter ihnen entstünde. — In weißem Gewände, mit einem 
Blumenkranz um das Haar, wurde die Jungfrau den Berg hinan¬ 
geführt und in der Nähe der Felsenhöhle, wo das Untier lag, 
mit einem Strick an einen Baum gebunden, neben dem ein 
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