C. Das Rom erreich.
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tragene Geschäft; und ihre Gesetze fanden am Ende des Jahres bei der Volks¬
versammlung solchen Beifall, daß man zur gänzlichen Vollendung des Werks
auch für das zweite Jahr das Deeemvirat bestehen ließ. Aber jetzt mi߬
brauchten die patrizischen Zehnmänner ihre unumschränkte Macht zu Handlun¬
gen der Willkür und Gewaltthat. Sie wütheten mit Kerker, Geldbuße, Bann
und Henkerbeil gegen ihre plebejischen Widersacher, ließen, als ein Krieg mit
den Aequern und Volskern ausbrach, einen alten Plebejerhelden im Felve ermor¬
den und führten, nachdem ihr zweites Jahr verflossen und die Abfassung der
Zwölstafelgesetze vollendet war, eigenmächtig ihr Amt fort. Da brachte die lü¬
sterne Frevelthat des adelsstolzen Appius Claudius, des angesehensten unter den
Decemvirn, die allgemeine Unzufriedenheit zum Ausbruch. Dieser trug näm¬
lich Verlangen nach der schönen Virginia, Tochter eines Plebejerführers und
Braut eines andern. Um zu ihrem Besitz zu kommen, beredete er einen seiner
Untergebenen, die Jungfrau für seine entlaufene Sclavin zu erklären und vor
des Decemvirs Richterstuhl als Eigenthum anzusprechen. Vor einer großen
Menschenmenge hörte Appius Claudius auf dem Forum die Klage an; kaum
aber hatte sein Richterspruch die Virginia dem Kläger überantwortet, als der
Vater hinzueilte und ihr ein Messer ins Herz stieß. Erstarrt über die unerhörte
That, umstand noch das Volk die Leiche der schönen Jungfrau, als das plebe¬
jische Heer unter seinen Tribunen in die Stadt einzog, sich auf dem Aventinus
lagerte und mit Drohen die Entfernung der Decemvirn und die Rückführung
der alten Ordnung verlangte. Beides geschah. Appius Claudius tödtete sich
selbst im Kerker; ein anderer wurde hingerichtet; die übrigen büßten ihre Fre-
velthaten mit ewiger Verbannung. Die Zwölstafelgesetze blieben jedoch in
Wirksamkeit und wurden die Grundlage des römischen Rechts.
§. 104. 3. Bald darauf erlangten die Plebejer auch das Zugeständniß,
daß beide Stände gültige Ehen mit einander eingehen dürften, ohne Ver¬
lust der Standesrechte für die Kinder; und zuletzt sprachen sie auch
die Theilnahm e am C onsulat an. Aber dieser Anmuthung widerstanden
die Patrizier aus allen Kräften und als endlich die Plebejer die Aushebung
für den Kriegsdienst hinderten, erklärten sie, daß sie lieber gar keine Consuln
mehr haben, als in die Zulassung der Plebejer willigen wollten. Hierauf ver¬
einigte man sich dahin, daß von jedem der beiden Stände jährlich drei oder
vier Militärtribunen (Kriegsobersten) mit consularischer Gewalt als
Heerführer und oberste Beamten gewählt werden sollten. Diese Einrichtung
bestand gegen hundert Jahre. Doch geschah es bisweilen, daß die Patrizier
die Oberhand erlangten, dann wurden einige Jahre lang wieder Consuln
gewählt oder man ließ die plebejischen Militärtribunen bei Seite. Als Ersatz
für den Verlust errichteten die Patrizier das Amt der Censoren. Diese, zwei
an Zahl, hatten die Führung der Verzeichnisse, worin alle Römer nach Ver¬
mögen und Rang als Senatoren, Ritter und Bürger aufgesührt waren,
leiteten den Bau der Tempel, Straßen und Brücken und führten eine sitten-
richterliche Aufsicht, wobei sie moralische Vergehungen und Handlungen
„wider Ziemlichkeit und öffentliches Wohl" mit Entziehung der staatsbürgerli¬
chen oder Standesrechte bestraften.
c) Roms Einnahme durch die Gallier (889) und die Gesetze des Licinius
Stolo (300).
§• 105. Während dieser innern Kämpfe fochten die römischen Heere sieg¬
reich gegen die Feinde. Durch die Einrichtung, daß während des Kriegs die