Full text: Geschichte des deutschen Volkes

192 Volkscharakter während des 14. u. 15. Jahrh. §. 309—310. 
wir Kunde haben, der schwarze Tod, durch die Länder ging. Er kam vom 
Morgenlandc durch Italien herauf, und raffte an manchen Orten die halbe, oft 
die ganze Bevölkerung hin. Man fand auf dem Meere Schiffe mit reicher 
Ladung steuerlos treiben, weil die ganze Mannschaft ausgestorben war. So 
schritt die Seuche durch Deutschland, durch das elende Landvolk, durch die engen, 
gedrängten Straßen der Städte dahin, überall Entsetzen verbreitend. Da kam 
über die Völker ein eben so ungestümer Geist der Buße: Geißler-Gesell¬ 
schaften (Flagellanten), zogen umher, die sich mit scharfer Geißel den Rücken 
zerfleischten. So schildert sie eine Chronik der damaligen Zeit*): 
Zum ersten: so hettent sie gar kostbare vanen von sammittüecbern und 
von baldeken, üf zehen oder acht vanen, und also menige gewundene kertzen: 
die truog men in vor, wo sie in stette oder in dörfer giengent, und stürmede 
alle glocken gegen in und die geischelcere giengent den vanen noch je zwene 
und zwene mittenander und hettent alle mentelin an und hüete üf mit röten 
criucen; zwene sungent vor und denne die andern alle noch. — So sie alsus 
in die kirchen köment so kniuweten siu nider und sungent: 
Jhesus der wart gelabet mit gallen: 
des sullent wir alle an criuce fallen. 
Und do vielent siu alle criucewys an die Erden, das es clapperte, nnd 
so siu ein wile alsus gelogen, so huop ir vorsenger an und sang: 
Nu hebent uf iuwer hende, 
das got dis grosse sterben wende; 
Nu hebent üf iuwer arme 
das sich got über uns erbarme. 
--und sungent denne und geischelten sich mit riemen: die hottent vornän 
knöpphc und noblen dar in gestecket: und sungent maniger hande leis. 
Tief aber ging die Buße nicht. Als die Plage vorüber war: „Hub die Welt 
wieder an, fröhlich zu sein, und die Menschen machten ihnen neue Kleider und 
fangen neue Weisen." 
§ 310. Zu gleicher Zeit wandte sich der Volksgrimm gegen die Juden, 
die man als Urheber der Pest, als die Vergifter der Brunnen, anklagte: Tau¬ 
sende dieser Unglücklichen fielen in Mainz, Frankfurt, Straßburg re. unter den 
wüthenden Händen der Menge, oder kamen in shren brennenden Gebäuden, in 
die man sie einsperrte, um. Denn der Jude war tief verachtet und gehaßt; 
ausgeschlossen von aller menschlichen Gemeinschaft und fast von jedem Rechte, 
klammerte er sich um so ängstlicher an Geldgewinn, und wenn man ihn haßte, 
konnte man ihn doch nicht entbehren. So kamen immer von neuem Juden¬ 
verfolgungen: es brauchte nur ein wahnsinniges Gerücht zu entstehen, Juden 
hätten ein Christenkind geraubt und geschlachtet, die heilige Hostie (den Leib des 
Herrn) durchstochen u. s. w. — und eine grausame schonungslose Verfolgung 
war da. Ueberhaupt war der Aberglauben und die Dumpfheit der Gemüther 
groß. Geschichten von Zaubereien wurden ebenso oft erzählt, wie geglaubt; die 
Wunder, welche die Kirche dagegen setzte, waren kaum minder abgeschmackt und 
widerlich. Andere Schrecken kamen dazu, die herben Gegensätze der Zeit zu 
mehren. Wo so selten öffentliches Recht zu finden war, da schaffte man es sich 
mit Gewalt, und selbst das Gericht, das einst gebührender Weise öffentlich vor 
allem Volk beim Schein der Sonne gegeben und genommen ward, hüllte sich 
Jacob von Königshofen zu Straßburg.
	        
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