74 Alte Geschichte.
erlangen. Was bte Beamten und Pächter übrig ließen, wußten Kaufleute
und Wucherer aus Rom an sich zu bringen. Auf diese Weise ging
manche Provinz in wenig Jahrzehnten durch Römische Habsucht zu Grunde.
Zwar bestand ein Gesetz, welches den Bedrückten das Recht gab, ihre
Dränger nach abgelaufener Amtszeit anzuklagen. Da aber die Richter
zumeijt dem Geld- und Familienadel angehörten, so gingen die Schuldigen
gewöhnlich frei aus. Bedurfte es doch selbst zur Bestrafung des Verres,
welcher Sicilien maßlos ausgesogen hatte, der Beredsamkeit eines Cicero.
2. Auf solcheWeise kam die Nobilität durch den Besitz der Macht
auch in den Besitz des Reichtums. Fast alles Grundeigentum, insbesondere
das Gemeindeland, befand sich in ihren Händen. Zahlreiche kleine Güter
waren verschwunden. Denn durch die fortwährenden Kriege verarmten die Be-
Abnahme d. sitzer und schlugen nicht selten ihr Erbe um billigen Preis an die Wohl-
freien Acker-habenden los. Der Stand freier Ackerbauer, auf welchen Roms alte
dauern. Kraft, Biederkeit und kriegerische Tugend beruhte, war im Untergang be-
griffen. Damit schwanden die einfachen Sitten, so daß man Gesetze
gegen den Putz der Frauen (215), gegen eine übergroße Anzahl von Gästen
(183), gegen unmäßigen Aufwand bei Gastmählern (162) erlassen mußte.
Griechische Für folche Übel war das Aufkommen Griechischer Bildung in
Bildung. Rom kein Ersatz. Sie erstreckte sich doch nur auf die Vornehmen, wurde
nie Gemeingut des Volkes. Letzteres nahm an litterarischen oder Künstlet-
stungen wenig Anteil, sondern ergötzte sich lieber an mimischen Spielen
oder an Gladiatoren- und Tierkämpfen.
Indes blieb der Zustand erträglich, so lange die Reichen ihre Land-
güter durch Römische Arbeiter bebauen ließen; als sie aber kriegsgesangene
Sklaven- Sklaven dazu nahmen, überstieg das Elend bald alles Maß, und Rom
Arbeiter, ^urde mit einer Menge brotloser Bürger erfüllt. Der besitzlose Haufe
kam entweder in den Sold der Reichen („Patrone"), denen er Stimmen
und Fäuste verkaufte, oder er machte aus dem Kriege ein Handwerk und
betrachtete das Lager als Vaterland und den Feldherrn als Gebieter.
Schon jetzt beherrschten die Wohlhabenden durch Stimmenerkaus und Frei-
geben von Sklaven (die seit 138 eingeführte geheime Abstimmung besserte
daran nichts) die Wahlen; schon jetzt bereitete sich das Verhältnis vor,
welches nachher so verhängnisvoll in den Bürgerkriegen wurde, nämlich
daß das Heer nicht Eigentum des Staates, sondern freigebiger Führer war.
Derartigen Übelständen, die bei längerer Dauer den Sturz der
Republik nach sich ziehen mußten, konnte nur durch Wiederbegründung
eines Mittelstandes begegnet werden. Das Ackergesetz des Licinius
(S. 62) hatte bereits daraus hingezielt. Über zwei Jahrhunderte später
Die nahmen Tiberius und Gajus Gracchus jenes Gesetz wieder auf.
Gracchen. Sie sahen sich in ihren Bestrebungen von einem Teil der Nobilität unter-
stützt, — denn diese hatte sich in eine konservative und in eine Fortschritts-
Partei, in Optimales und Populäres, gespalten — konnten aber mit ihren
Maßnahmen nicht durchdringen, weil das Volk seine eigenen Interessen
nicht erkannte und schon zu einer urteilslosen Menge herabgesunken war.
Beide Brüder fanden daher ein gewaltsames Ende (133 und 121), und
das Mißverhältnis zwischen Reichtum und Armut blieb bestehen.