Full text: Geschichte des deutschen Volkes

Gmndung des Reiches. Pabst und Kaiser. § 78—80. 51 
hatten sich solche mit besonderm Ansehen hervorgehoben, die in Gemeinden wal¬ 
teten, welche einst von den Aposteln gegründet waren. Dies betraf besonders Rom; 
denn hier hatten die heiligen Apostel Paulus und Petrus gelehrt und Beide, nach 
kirchlicher Ueberliefernng, hier den Märtyrertod erlitten. Hier, meinte man, müsse 
auch der Quell der christlichen Lehre am reinsten strömen, und alle Gemeinden 
müßten darnach trachten, mit Rom in Einklang zu stehen. In den großen 
Glaubensstreitigkeiten, die vom 4. bis zum 9. Jahrhundert die Kirche bewegten, 
hatten die römischen Bischöfe stets fest an der orthodoxen, d. h. an der von den 
Concilien als rechtgläubig bezeichneten Lehre gehalten. Größer noch ward nach 
dem Fall des weströmischen Reiches ihr Ansehn; denn die germanischen Eroberer 
waren, wie wir gesehen haben, Arianer, mithin Ketzer, während die altrömische 
oder welsche Bevölkerung zur orthodoxen katholischen Lehre hielt, und ihren 
großen geistigen Schirmer in dem Bischof von Rom sah, der in der ehemaligen 
Hauptstadt der Welt thronte. Grcßgesinnte Bischöfe hoben dann das Ansehen 
ihres Stuhls noch durch den Werth ihrer Thaten: so jener Leo der Große, der 
den Attila zur Umkehr aus Italien bewegte 452 (§ 32.); so jener Gregor 
der Große (§43., § 62.) 59O — 604, der die Angelsachsen bekehrte, und der 
dem Katholischen Gottesdienste seine prächtigen Formen gab, durch die er aus 
die Gemüther des Volks so staunenerregend wirkte. Schon damals nannte man 
den römischen Bichof vorzugsweise P'abst. — Seit die Franken unter 
Chlodwig zuerst unter den germanischen Völkern dem katholischen Glauben sich 
zugewandt, hatte eine besondere Freundschaft zwischen ihnen und Rom bestanden. 
Nun war aus ihrer Mitte das Reich hervorgegangen, das alle Germanen um¬ 
faßte, und die katholische, die römische Kirche war durch sie die überall herrschende 
geworden. Deshalb bestand schon ein enger Bund Pippins mit dem Pabste, der 
seiner geraubten Krone die heilige Weihe gab; enger noch wurden diese Bezie¬ 
hungen unter Karl dem Großen, und die Verbindung beider großen Mächte der 
damaligen Zeit, des Reichs und der Kirche, fand zuletzt in der Kaiserkrönung 
Karls ihren angemessenen Ausdruck. 
§ 79. Als Karl 799 in Paderborn verweilte, kam zu ihm Pabst Leo III., 
der in Rom von den Verwandten seines Vorgängers bei einer Prozession schwer 
mißhandelt worden und mit genauer Noth entwichen war. Man beschuldigte 
ihn mancher Verbrechen, und Karl ließ erst eine strenge Untersuchung zu seiner 
Reinigung anstellen. Dann führte er ihn mit einem Heere selbst nach Rom zu¬ 
rück. Hier nun geschah es, am Weihnachtstage, am Beginn des Jahres 800, 
daß in St. Peters Dom der Pabst dem großen Frankenkönige die römische 
Kaiserkrone aufsetzte: alles Volk, das gegenwärtig war, rief: Carolo Augusto, 
dem von Gott gekrönten, großen und friedebringenden Kaiser der Römer, 
Leben und Sieg I" 
§ 80. Erst mit dieser Kaiserwürde erhielt die Macht Karls des Großen 
ihre volle Bedeutung. In den Augen der Völker war fortan das römische 
Reich, das einst die Welt beherrscht hatte, wieder erneut. Der Kaiser stand an 
der Spitze dieses Reiches, das die ganze Christenheit umfassen sollte, und er¬ 
schien als der oberste Herrscher und Beschirmer derselben. Von ihm ging alle 
irdische Macht, alles Regiment auf Erden aus, und verbreitete sich die Stufen 
abwärts auf Könige, Herzöge, Grasen bis zum letzten Lehnsinann hinab, der 
noch zu gebieten hatte. Ein neues Weltreich, aber ein christliches, war gegrün¬ 
det. Denn vor allen Dingen war der Kaiser ein Beschützer der christlichen 
Ordnung und des rechten christlichen Glaubens. In diesem Berufe fühlte er 
sich eigentlich Allen, aber keiner Nation besonders angehörig; doch waren es 
jetzt die Deutschen, wie einst die Römer, auf denen die neue Weltherrschaft be- 
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