10 §. 5. Stände und Kasten, Priesterstaaten und priesterliche Kriegcrstaaten.
So führten feste Wohnplätze die Sorge für angemessene Kleidung in
den verschiedenen Jahreszeiten und für schützendes Obdach herbei. Es mußten
Flüsse gedämmt, Kanäle zur Bewässerung gegraben, Wälder ausgerottet,
Sümpfe trocken gelegt werden. Auch führte die Beschäftigung mit dem
Landbau nothwendig zur Beobachtung der Gestirne.
Hauptsächlich aber traten bei festen Ansiedelungen die verschiedenen
Stände mehr und mehr auseinander, und auch die vorher genügende
Sitte des Familienlebens reichte zur Lenkung so zusammengesetzter Ver¬
bindungen nicht mehr hin. Es entstanden Gesetze, welche inan unter
den Schutz der Religion stellte und sie dadurch heiligte.
So trat der Priesterstand, als der Wächter der Gesetze und
Bewahrer göttlicher Dinge in die erste Reihe und es bildete sich ganz
natürlich die theokratische oder hierarchische Staatsform. Je
«lehr aber das Volk und mit ihm auch die Priester selbst die tiefere
Bedeutung ihres Gottesdienstes verloren, desto mehr suchten letztere die
bürgerlichen und religiösen Kenntnisse als Geheimlehre zu bewahren, in
ihrem Stand zu vererben und sich mit den andern unvermischt zu er¬
halten. So entstand die Priesterkaste. Zu gleicher Zeit fchloßen
sich aber auch die übrigen Stände mehr und mehr gegen einander ab,
und gaben so Veranlassung zur Entstehung der übrigen Kasten, von
welchen gewöhnlich die Kri e g e r kast e als die zweite, die L a nd b a u er
als die dritte, die Gewerbetreibenden als die vierte, und —
wo sie vorhanden war — die Hirten als die letzte erscheinen.
Da nun die Theilung der Arbeit unter mehreren Kasten damals der
Vervollkommnung der verschiedenen Bernfsarten förderlich scheinen mochte
und jedenfalls die Fortpflanzung erlangter Einsicht und Geschicklichkeit von
Geschlecht auf Geschlecht sicherte, suchten die Priester die verschiedenen
Kasten durch strenge Gesetze völlig zu trennen, so daß jede Vermischung
als Versündigung erschien, und den Verlust der Kaste nach sich zog.
Solche Staaten, in welchen diese Kasteneinrichtung bestand, nennt man
Priesterstaaten, die zu den ältesten gehören, und sich bei demZend-
volk, den Indern, Alt-Aegyptern und Aethio pen fanden.
Manchmal aber kam es vor, daß die Priester mit der einheimischen oder
eingedrnngenen Kriegerkaste die Herrschaft theilen mußten, und so p r i e st er¬
lich e K r i e g e r st a a t e n entstanden, wie bei den spätern A e g y p t e r n,
Chaldäern, Alt-Assy r ern, Alt-M ed ern und Persern.
Im Ganzen beruhte aber die Einrichtung aller dieser Staaten des Al-
terthumö auf dem Stern dienst; ihre staatliche Gliederung sollte ein
Abbild der himmlischen Ordnung seyn, in welcher die Gestirne sich be¬
wegen. Aber auch das konnte sie nicht bewahren vor dem Versinken in
eine blos mechanische Ordnung, welche alles freie Leben unterdrückte, was
dann wieder die Folge hatte, daß da und dort kräftige Männer aus der