Full text: Die deutsche Geschichte in ihren wesentlichen Grundzügen und in einem übersichtlichen Zusammenhang

I 
268 
sich zur Ottomane erwählt, dort sitzt er und labt sein kaltes Herz am 
heißen Strahl. 
Man sucht einen Erlenbusch und legt sich ans Ufer. Das Wasser- 
ist da so durchsichtig klar, die glatte Kieselstraße dehnt sich so sanft und 
weit hinein, die grünen Hage drunten schimmern so märchenhaft herauf, 
als ob uns selber „die blaue Göttin lade in ihren unendlichen Schoß". 
Das Wasser schlügt leise glucksend, wie im Schlaf, ans Ufer und zieht 
weiche Linien in den Sand oder wirft Halme, Fasern, Schnecken aus, seine 
Spur zu bezeichnen. Bachstelzen und Krähen kommen, einen Wurm, eine 
gescheiterte Muschel zu sangen; ein durstiger Schmetterling setzt sich auf 
ein feuchtes Steinchen, und über ihm steht mit glasigen Flügeln die 
Libelle, nur je zuweilen hin- und herzuckend. Man betrachtet verwundert 
dieses kleine Treiben, folgt hier dem zierlichen Vogelschritt, dort den Irr¬ 
fahrten einer Phrygünenlarve, die im Rohrkanot das Ufer zu gewinnen 
sucht, oder den Mücken, die zwischen den Banmwipfeln wie an unsicht¬ 
baren Fäden schweben, „auf tausend Wegen auf- und niederkreuzend". 
Inzwischen erwacht nach kurzer Ruhe die Wasserwelt. Ganze Herden 
von Fischen hüpfen ans der Oberfläche des Sees. Das ist ein Glitzern 
und Plätschern, ein Haschen und Huschen ohne Ende. Jetzt jagt laut¬ 
schnappend der große Barsch heran — er trachtet den Sorglosen nach; aber 
kaum naht er, und im Augenblick ist alles zerstoben. Doch nicht lange, 
so sammeln sich neue Schwärme. Und nun sehe man das Hin- und Her¬ 
schießen, das Auf- und Abtauchen, das wählige, wohlige Dahingleiten, 
dieses Fortrollen und dann wieder das plötzliche Stillstehen, das regungs¬ 
lose Versteinern dieser sonderbaren Tiergeschlechter! Nirgend zeigt sich ein 
arbeitendes Glied, jede Bewegung erscheint so mühelos, so zauberhaft 
leicht, als ob ein verborgener elektrischer Druck die schlanken Leiber jetzt 
vorwärts schnelle, jetzt plötzlich banne. Das kleine Volk macht Jagd ans 
Mücken, Fliegen und Wasserspinnen; aber schon ist ein neuer Feind nahe 
und der gefährlichste von allen. Unten im Blättergewirr des Grundes, 
granbepanzert, lauert mit tückischen Angen der Hecht. Er steht un¬ 
beweglich. Plötzlich hat er einen Unvorsichtigen erspäht, und in wilder 
Hast, pfeilschnell stürzt er hervor. Ein Moment — und man sieht die 
langgestreckte, stiere, glotzende Masse, den Nachen weit geöffnet, zwei, drei 
Fuß über die Wasserfläche hinausspringen und dann schwer und plump in 
ihr Element zurückfallen. Ein laut klatschender Wellenschlag erregt den 
Spiegel, während der Räuber, seinen Fang im Genick gefaßt, in die 
Tiefe stößt, wo er die Bente langsam und ruckweise hinabdrängt. 
Aber jetzt schwimmen weißumsäumte Wolken am Horizont herauf, und 
bald kommt's düsterdrvhend gezogen. Die Uferschwalben werden lebendig. 
Der Taucher läßt aus dem Schilfe seinen melancholischen Ruf vernehmen: 
er verkündigt das Gewitter. Schon erfolgen auch einzelne Windstöße. 
Dann tritt abermals Stille ein, und der See glättet sich von neuem.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.