22
Kap. 4. Kampf der Ctmbern und Teutonen mit den Römern.
Aber mit dem übermäßigen Wachsthum seiner» äußern Große
sanken zusehends die innern sittlichen Stützen seines Machtbestandes
dahin. Denn je mehr cs durch die Unterjochung und Zertretung an¬
derer Volker dem Gipfel seines Glücks zucilte, desto gewisser gelangte
es an den Abgrund, welcher es sammt der, seit so vielen Jahrhun¬
derten angehäuften, blutigen Siegesbeute allmählig verschlingen sollte.
Je gewissenloser das Volk der Römer insbesondere durch Vergeudung
der den Völkern abgepreßten Reichthümer- die Gier seiner sinnlichen
Lüste zu befriedigen trachtete, so daß für Geld jede Tugend feil war,
und je willkührlicher es die von ihm bezwungenen Völker behandelte,
desto drohender nahte das Strafgericht der ewigen Gerechtigkeit, die
es so schwer zu verletzen sortfuhr.
Eben als die wenigen Edeln, die Rom noch besaß, beim krän¬
kenden Anblick des Unrechts, das die Reichen und Vornehmen an den
Armen und Unterdrückten verübten, ihrem Versuche, den Staat zu
verbessern und das gestörte Gleichgewicht der Rechte wieder herzu¬
stellen, blutig erlegen waren, und kurz daraus Roncks Lenker sich
nicht scheuten, bei Gelegenheit der Unthaten eines seiner Vasallen
(des Jugurtha) der Welt das Beispiel der verworfensten Bestechlich¬
keit und dadurch das Zeugniß zu geben, wie reis die römische Welt
schon damals dem Gerichte des Verderbens war: da hörte man plötz¬
lich „das Rauschen des Völkerstroms", dem von Gottes Vorsehung
das Amt werden sollte, mit seinen rächenden Fluthen allmählig den
verderbten römischen Erdkreis zu überströmen und eine neue
Staatenschöpfung vorzubereiten.
(2.) ^ms dem Norden von Deutschland kommend erschienen plötzlich
an der Nordostgränze Italiens im Jahre
113 v. Ehr. die Cimbern und Teutonen mit den sie stets begleitenden
Ambro neu; — eine vereinigte Schaar germanischer Völker, beste¬
hend aus 300,000 wehrhaften Männern, darunter 15,000 geharnischte
Reiter, mit Weibern und Kindern und vieler Beute, die sie auf
ihrem langen Wanderzuge zusammcngerafft hatten. Ihre ungemeine
Leibcsgröße, welche durch Büsche linb schreckbare Thiergebilde aus
den Helmen noch riesiger erschienen, ihr trotziger Blick, ihre unge¬
wöhnliche Bekleidung mit Wildfellen und Eisenpanzern, ihre eigen¬
tümliche Bewaffnung mit Keulen, mannshohen Schildern und langen
Schwertern — Alles an ihnen stößte dem römischen Heere, das sich
in den Alpen unter dem Consul Papirius Carbo ihnen entgegen¬
stellte, einen solchen Schrecken ein, daß es keinen offenen Kampf