13. Frankreich unter Ludwig Philipp.
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und schließlich mit den Worten gutgeheißen, „daß man die Entschei¬
dung über diesen Punkt der Weisheit des Fürsten anheimstelle".
Am 9. August wurde die „Erklärung" der zweiten Kammer und der
zustimmende Beschluß der Pairskammer dem General-Statthalter
vorgelesen, von ihm genehmigt und beschworen.
Schon von Anfang an sah der neue König der Franzosen zwei
Parteien in unversöhnlicher Feindschaft ihm gegenüberstehen: die
Karliften und die Republikaner. Eine Anzahl karlistischer Mitglieder
beider Kammern verweigerte "demselben den Eid, andere Karliften
leisteten zwar den Eid, um ihre Sitze in den Kammern zu behaupten,
arbeiteten aber darum nicht weniger planmäßig auf den Umsturz
der revolutionären Regierung hin. Die Republikaner ihrerseits wa¬
ren mit geringeren Mitteln eben so thätig für den nämlichen Zweck.
Uebrigens erfreute sich Ludwig Philipp, inmitten aller Feindseligkeit
des Parteigeistes und trotz der drückenden Lage des Volkes in Folge
der Störung des Geschästslebens durch die Revolution, in den ersten
Monaten seiner Regierung einer großen Popularität. Seine Zu¬
gänglichkeit, seine einfache häusliche Sitte blieben nach seiner Thron¬
besteigung dieselben, wie zuvor und wurden ihm von der öffentlichen
Meinung hoch angerechnet. Seine Söhne besuchten auch jetzt noch
die öffentlichen Schulen, die früher niemals einen Prinzen unter
ihren Zöglingen gezählt hatten; den König selbst sah man im bür¬
gerlichen Rocke mit dem Regenschirm in der Hand durch die Straßen
von Paris wandeln, immer bereit zu einem freundlichen Worte, zu
einem Händedruck gegen Jedermann. Seine Geistesgegenwart, seine
Redefertigkeit, der vertrauliche Ton seiner Unterhaltung, seine Kennt-
niß des kleinbürgerlichen Lebens und seine stete Bereitwilligkeit, auf
die Interessen desselben einzugehen, waren eben so viele wirksame
Mittel, sich die Volksgunst zu erwerben, deren eifriger und erfolg¬
reicher Gebrauch ihm bald den Namen eines „Bürgerkönigs" erwarb.
Der nächste Gegenstand, welcher die neue Regierung beschäftigte,
war der Proceß gegen die Exminister Karl's X. Vier der¬
selben: Polignac, Peyronnet, Chantelauze und - Guernon-Ranville
waren auf der Flucht nicht so glücklich gewesen, wie ihre Collegen,
die unerkannt und unaufgehalten über die Grenze gekommen warey.
Die Regierung ließ die ohne ihr Zuthun und zu ihrem großen Be¬
dauern gefangen genommenen Urheber des Staatsstreiches nach dem
Schlosse Vincennes abführen, aber, um die Todesstrafe von ihnen
abzuwenden, sich durch die zweite Kammer auffordern, einen Gesetz¬
entwurf auszuarbeiten und der Rational-Vertretung vorzulegen, nach
welchem die Todesstrafe überhaupt, als dem humanen Geiste des
Jahrhunderts widersprechend, einstweilen wenigstens für politische
Verbrecher abzuschaffen sei, also für Handlungen, deren Verdienst
oder Schuld von wechselnden Ereignissen, ja sogar von der wandel¬
baren Meinung des Tages abhange. Dieses Verfahren setzte die
Masse des pariser Volkes, welches eine dem Verbrechen der Exminister