19. Die politischen und religiösen Kämpfe in der Schweiz.
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19. Die politischen und religiösen Kämpfe in der Zchrveh.
(Nach Wolf gang Menzel, Geschichte der letzten 40 Jahre, zum Theile
bearbeitet vom Herausgeber.)
Die Schweiz war, ohne ihr eigenes Verdienst, durch die Gnade
des Wiener Congresses aus den europäischen Stürmen 1815 größer
hervorgegangen, als sie vordem gewesen war. Sie hatte zu Napo¬
leon gehalten, sie wollte den siegreichen Alliirten sogar noch den
Durchmarsch verwehren, und doch, anstatt bestraft zu werden, wurde
sie belohnt. Man erweiterte ihre Grenzen und machte sie stärker,
um an ihr künftig ein Bollwerk mehr gegen Frankreich zu haben.
Deßhalb wurden Genf, Wallis, Graubündten, Tessin und Neuenburg
mit der alten Eidgenossenschaft, wie- sie vor 1798 bestanden, ver¬
einigt. Eine ewige Neutralität wurde ihr von allen Nachbarn zuge¬
standen. Der Friede goß seine Segnungen über sie aus.
Und doch war die Schweiz nicht zufrieden. Auch sie hatte, we¬
nigstens zum Theil, eine Restauration erlebt. Das wiederhergestellte
Patricier-Negiment machte sich in mehreren Cantonen aufs
äußerste verhaßt, die Zollgrenzen zwischen den einzelnen Cantonen
hemmten die freie Entwicklung der Industrie und des Handels. Un¬
merklich bildete sich gegen die bestehenden Regierungen eine Oppo¬
sition, die hauptsächlich von dem unberechtigten und zurückgesetzten
Talent, von den Universitäten und Schulen und von den Fabriken
ausging, im Gegensätze gegen die berechtigten und alleinherrschenden
Familien und gegen den Grundbesitz. Auch die fremden Flüchtlinge,
die in der Schweiz Gastfreundschaft genossen, trugen dazu bei, die
liberale Opposition gegen die Aristokratie zu nähren.
Die Revolution war lange vorbereitet und wartete nicht einmal
auf die in Paris, denn schon am 21. April 1830 wurde die Oli¬
garchie im Canton Tessin gestürzt und die Regierung demokratisirt.
Die Züricher Regierung, die des mächtigsten Cantons nächst Bern,
trat zuerst freiwillig auf die Seite der Opposition und empfahl, im
Widerspruche mit Bern, auch den übrigen Cantons-Regierungen Nach¬
giebigkeit und zeitgemäße Reformen. Der große Rath von Zürich
beschloß eine Umänderung der Verfassung, so daß künftig das Land,
das bisher nur 82 Großräthe gewählt hatte, während die Stadt
132 wählte, eben so viele wie die Stadt wählen sollte. Aber die
Opposition verlangte mehr und richtete in einer großen Volksver¬
sammlung zu Uster die Forderung an die Stadt, nur Vs Wahlen
zu behalten und dem Lande 2/s zu überlassen. Da gab die Stadt
nach, und am 14. December trat der neue große Rath mit einer
Mehrheit vom Lande zusammen.
Die gleichen Scenen folgten nun fast in allen Cantonen. Ueberall
setzte die Opposition durch große Volksversammlungen die Verfassungs-