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24. Die Parteikämpfe in Spanien.
Carlotta schon 10 Jahre früher Ferdinands jüngsten Bruder, den
Jnfanten Fraklz de Paula, geheirathet hatte, bereitete eine entschei¬
dende Wendung in den spanischen Verhältnissen vor. Ferdinand VII.,
stets von seinen Umgebungen abhängig, unterlag bald völlig dem
Einflüsse der jungen und ränkevollen Königin. Der Haß gegen sei¬
nen Bruder Don Carlos, dessen Parteigänger bis zu offenem Auf¬
ruhr geschritten waren (s. S. 63), mochte dazu beitragen, den König
zum Umstürze der herrschenden Thronfolgeordnung durch
die pragmatische Sanction vom 29. März 1830 zu bewegen.
Seit dem Heimfalle der spanischen Krone an das Haus Bourbon
war mit Zustimmung der Cortes das salische Gesetz, welches die
weibliche Linie von der Erbfolge ausschloß, an Stelle des alten casti-
lischen Rechts in Spanien eingeführt worden. Ferdinand VII. an-
nullirte jetzt eigenmächtig das Haus- und Staatsgesetz, um seiner
etwaigen weiblichen Nachkommenschaft die Krone Spaniens zuzuwen¬
den. Die carlistische Partei vermochte dem Streiche, der alle ihre,
auf den voraussichtlich nicht fernen Tod des Königs vertagten Hoff-
nungen zu zerstören drohte, augenblicklich keinen Widerstand entgegen
zu setzen; sie mochte auch abwarten wollen, ob die weibliche Erbfolge
thatsächlich in Frage kommen würde. Als aber am 10. October
1830 dem Könige wirklich eine Tochter, die jetzige Königin Isa¬
be lla, geboren wurde, hatten sich inzwischen durch die Juli-Revo¬
lution alle politischen Constellationen geändert. Die Aussichten der
liberalen Partei nahmen plötzlich einen neuen Aufschwung, und die
Gefahr vor dem gemeinsamen Gegner nöthigte die Regierung und
die Carlisten, sich momentan mit einander zu verbinden. In der
That rüstete sich auch die zahlreiche liberale Emigration, die in Eng¬
land und Frankreich seit Jahren ein Asyl gefunden hatte, zu einem
Einfalle in Spanien, den man ihr auf französischem Boden ungestört
vorzubereiten gestattete, da die Juli-Dynastie vom spanischen Hofe
noch nicht anerkannt war und zwischen beiden Cabinetten eine fast
feindliche Spannung herrschte (s. S. 141). Ehe jedoch das Unter¬
nehmen zur Ausführung reif war, erfolgte die Anerkennung Ludwig
Philipp's durch Spanien, und die unglücklichen Flüchtlinge wurden
jetzt nicht nur auf Befehl der französischen Regierung ihrer zum
Zwecke der Expedition aufgebrachten Kriegsmittel beraubt, zum gro¬
ßen Theile von der Grenze entfernt, sondern auch diejenigen, die
trotzdem in geringer Zahl in Spanien einzudringen wagten, den dor¬
tigen Behörden denuncirt. Sofort von überlegenen Streitkräften an¬
gegriffen, wurden sie nach heldenmüthigem, aber fruchtlosem Wider¬
stande zersprengt, die Gefangenen erschossen, die vom Geschicke Be-
günftigteren über die französische Grenze zurückgetrieben. Die ganze
Sache wird stets einer der dunkelsten Flecke in der Geschichte Ludwig
Philipp's bleiben.
Im September 1832 verfiel der König in eine Agonie, welche
die carlistische Partei benutzte, um ihm durch den Justiz-Minister