Full text: Die Geschichte der letzten 50 Jahre

308 28. Der zweimalige Krieg Mehmet Ali Pascha's mit der Pforte. 
wahrlich nicht geeignet war, bei diesem äußerst bedenklichen Zustande 
des Reiches die Zügel der Regierung zu führen. Und nicht lange 
dauerte es, so kam zu dieser Nachricht noch eine andere nicht minder 
erschütternde. Der Kapudan Pascha, der am 5. Juli von den Dar¬ 
danellen ausgesegelt, ging mit der ganzen türkischen Flotte zum Vice- 
könig von Aegypten über. Die Pforte befand sich in der traurigsten 
Lage, Mehmet Ali wies alle Vermittlungsvorschläge der Pforte 
zurück und verlangte für sich nichts Geringeres, als die Erblichkeit 
in allen seinen Besitzungen, in Aegypten, Syrien und Kreta. 
Um nun die einseitige Einmischung Rußlands in Folge des Ver¬ 
trages von Unkiar-Skelessi abzuwenden, vereinigten sich die vier übrigen 
Großmächte zu einer Collectivnote vom 27. Juli 1839, in welcher 
sie erklärten, die orientalische Frage in die Hand nehmen zu wollen. 
Dieser Note trat auch der russische Gesandte bei, um Rußlands 
gänzliche Jsolirung zu vermeiden und nicht die Ordnung der orien¬ 
talischen Verhältnisse den übrigen Mächten allein zu überlassen. 
Aber von dem Augenblicke an, wo die Uebereinstimmung der Mächte 
öffentlich proclamirt wurde, begann sie zu weichen. Kaiser Nikolaus 
erlebte den Triumph, daß er die beiden Westmächte entzweite, indem 
er Englands Eifersucht gegen das revolutionäre Frankreich und dessen 
Eroberungs-Politik in Afrika aufregte. Sobald Frankreich merkte, 
daß es in dem Rathe der fünf Mächte mit seiner, dem Vicekönige 
günstigen Stimmung (s. S. 153) in der Minderheit bleiben werde, 
versuchte es, im Widerspruche mit der Collectivnote, für sich allein 
die orientalische Frage zu lösen. Daher schlossen die vier übrigen 
Mächte mit Hinzuziehung der Pforte den sog. Vierbundvertrag 
vom 15. Juli 1840, worin die Bedingungen des Friedens zwischen 
dem Sultan und dem Pascha verabredet wurden. Ohne sich von 
dem augenblicklichen Kriegslärm des nun isolirten Frankreichs (s. S. 
153) täuschen zu lassen, da die Friedensliebe Ludwig Philipp's nur 
zu bekannt war, begannen die Viermächte die Feindseligkeiten gegen 
Mehmet Ali, als er sich weigerte, die von ihnen seftgestellten Frie¬ 
densbedingungen anzunehmen. Eine österreichisch-englische Flotte nahm 
an der syrischen Küste Beirut und darauf einen festen Platz nach 
dem andern, zuletzt auch Akre (4. November). Mehmet Ali sah, 
daß längerer Widerstand vergeblich sei und daß die Hülfe Frank¬ 
reichs, zumal nach Thiers' Sturze, sich als eitle Täuschung erweise. 
Als nun der englische Commodore Napier Alexandria beschoß, mußte 
der Vicekönig froh sein, gegen Räumung Kreta's, Syriens, Arabiens 
und gegen die Herausgabe der türkischen Flotte, wenigstens sein Pa¬ 
schalik Aegypten zu behalten — und zwar noch dazu erblich. Dies 
verdankte er der englischen Politik», welche die völlige Vernichtung 
Mehmet Ali's aushalten zu müssen glaubte und die Vortheile er¬ 
langen zu können hoffte, welche bisher Frankreich in Aegypten be¬ 
sessen, namentlich die schon früher verlangte Sicherung der Straße 
von Suez.
	        
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