6. Frankreich zur Zeit der sog. Restauration.
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royalistisch-aristokratischen Sinn. Administrativstellen, wie die der
Justiz, wurden meist mit Emigrirten besetzt, und, was die natürliche
Folge davon war, diejenigen, welche sie bisher im Besitze gehabt, dar¬
aus verdrängt. Die Armee wurde beleidigt: durch die Veränderung
der Cocarde, der Fahnen, der Nummern der Regimenter, das Ab¬
legen der Adler; ein großer Theil der alten Soldaten wurde verab¬
schiedet, zwei Drittel der alten Offiziere ebenfalls auf halben Sold
gesetzt, „aus Mangel an Geld", wie man vorgab; aber in ihre
Stellen traten junge unerfahrene Leute aus den alten aristokratischen
Familien ein, und zudem wurden ganz nach der alten Weise drei
fremde Regimenter, Schweizer, in Sold genommen. Und um keinen
Zweifel übrig zu lassen, daß von nun an der Adel beim Militär-
bevorzugt würde, im Widerspruch mit der Charte, so erfolgte eine
königliche Verordnung, welche besagte, daß künftig die Aufnahme in
die Kriegsschulen nur denen gestattet sei, welche einen hundertjährigen
Adel Nachweisen könnten.
Die neue Regierung hatte bald fast alle Klassen der Bevölkerung be¬
leidigt; die Unzufriedenheit konnte sich zwar nicht in der Presse äußern,
denn diese war unter dem Drucke der Censur verstummt; aber nichts
desto weniger konnte der Geist des Unmuthes, welcher sich durch die
ganze Nation hindurchzog, keinem aufmerksamen Beobachter entgehen.
Besonders stark zeigte er sich beim Militär. Insubordinationen,
Emeuten fielen nicht selten vor. Vom Militär aus theilte sich die
Unzufriedenheit dem Volke mit. Besonders wirkten hier jene verab¬
schiedeten Soldaten des ehemaligen kaiserlichen Heeres, jene Invaliden,
die man fortgeschickt mit erbärmlich kleinen Pensionen; sie alle kehr¬
ten, den Grimm im Herzen, in ihre Heimat zurück, in die verschie¬
densten Provinzen des Königreichs; als lebendige Zeugen des ehe¬
maligen kriegerischen Ruhmes wurden sie überall mit Liebe und
Begeisterung ausgenommen; als Zeugen bourbonischer Negierungsweise
konnte es ihnen nicht schwer werden, die entschiedenste Abneigung
gegen diese hervorzurufen. Unter solchen Umständen bedurfte es nur
eines kühnen Geistes, der mit gewaltigem Griffe die Leitung der
verschiedenen Elemente des Widerstandes an sich zu reißen, in seiner
Person sie zu vereinigen verstand. Und das war Napoleon.
d. Die Rückkehr Napoleon's und dessen zweiten Sturz
s. Bd. III, S. 791 ff.
o. Zweite Rückkehr der Bourbonen 1815.
Noch während sich Napoleon auf französischem Boden befand,
hatten die Bourbonen wieder Besitz vom Throne genommen. Sie
hatten sich inzwischen iit Gent aufgehalten, mit Hofhaltung und
Ministerium. Bei ihrem Einzuge in Paris wehten nicht, wie das
erste Mal, weiße Tücher, schallten keine Vivats; selbst der Einzug
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