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nur im schlimmsten Falle. Nun wird sie immer denken, er hätte alles nur ihr zu 
verdanken. 
Und dann — das vom Christkind. Weiß er's jetzt? Nein, er weiß nur, 
daß in dem alten Schranke keine Geschenke stecken und wohl auch in den andern 
Schüben und Schränken nicht, da ihm doch die Neue das Schlüsselbund geben 
wollte. Gar nichts weiß er. 
Nachmittags wird es ihm ungemütlich in der Wohnstube. Der Vater steckt 
in der Mühle, und da muß er mit der Neuen allein sein. Da beschließt er, 
einmal hinauszugehen in den Wald, der zur Besitzung seines Vaters gehört. 
Mühsam bringt er seinen Wunsch vor. Die Neue nickt. 
„Ja, Georg,“ sagt sie und beugt sich tief über ihre Näharbeit. 
Im Hausflur liegt das leichte Handbeil, das sonst im Holzschuppen seinen 
Ort hat. Georg wundert sich, wer es dahin gelegt haben mag, und auf einen 
Augenblick fällt ihm ein, daß er das Beil gebrauchen könnte, da er doch seinen 
Christbaum selbst holen wollte. Aber er läßt es liegen. 
Wie er über den gefrorenen Mühlteich geht, fragt er sich, was er eigentlich 
im verschneiten Walde tun wolle. Es fällt ihm aber nichts anderes ein, als daß 
er vielleicht ein Reh sehen wird. Es ist ein großer Mühlteich da mit sehr schönem 
Eis. Auf dem könnte er Schlittschuh laufen, wie die Jungen im Dorfe tun; 
aber er mag nicht. So etwas kommt ihm dumm und gefährlich vor, und seine Mutter 
wollte überhaupt nicht gern, daß er mit andern Kindern spielte. Sie sagte, am 
allerbesten und schönsten sei es bei ihr in der Mühle. Und das war auch wahr. 
Es ist gut, daß er lange Stiefel anhat, denn der Schnee liegt sehr tief. Er 
watet langsam und vorsichtig weiter, und nur bei der großen Eiche bleibt er ein 
bißchen stehen. Hier hat oft im Sommer seine Mutter gesessen und er mit ihr. 
Ja, er hat sogar einmal ein Gedicht auf den Baum gemacht, das handelte von 
einem Gewitter, und zuletzt reimten sich Leiche und Eiche. Der guten Mutter hat 
es sehr gefallen, und jetzt muß er's leise vor sich hinsagen. 
Durch die weißen und braunen Äste schimmert es grün. Das ist das Tannen— 
gehölz. Der Junge muß stehen bleiben und tief Atem schöpfen. — Dort sind 
die — Christbäume. Es ist blos die große Frage, wer sie putzt, das Christkind 
oder die Eltern. Die ganze Zweifelsqual bricht wieder über ihn herein, und 
merkwürdig, dabei denkt er immer nur an den Jakob und nicht an seine Mutter. 
Langsam geht er näher. Er fühlt jetzt deutlich, daß er doch nicht imstande 
sein würde, eine junge Tanne zu fällen. Aber ansehen will er sie. 
Und wie er näher kommt, bleibt er plötzlich wie gelähmt stehen, sein Gesicht 
wird bleich wie der Schnee, die Augen flammen auf groß . . . groß . 
dann verlöschen sie plötzlich. Hund der Knabe sinkt langsam um . . . in 
den Schnee. 
Zehn Schritte vor ihm steht ein Christbaum mit bunten Lichtern und goldenen 
Fäden, mit roten Äpfeln und schimmerndem Zucker, ein Christbaum mit einem 
Engel und einer Krone, ein Christbaum ohne Holzständer, festgewachsen im 
Waldboden . 
Eine Frauengestalt huscht aus dem Dunkel der Bäume und rafft den ohn— 
mächtigen Knaben empor. Sie ist nicht stark und zittert heftig, aber sie trägt 
das Kind, und bis zur Mühle ist's nicht weit. 
Die Schneedämmerung leuchtet durchs Fenster herein in ungewissem Lichte.
	        
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