Full text: Geschichte der Römer

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andern Tage bestieg Appius den Richterstnhl und sprach seinem Clienten 
das Recht zu, sich der Virginia, die mit ihrem Vater, Bräutigam und 
Verwandten in Trauerkleidern erschienen war, als seiner Sklavin zu 
bemächtigen. Als die Menge scheu vor dem abgeschickten Lictor zurück¬ 
wich und Virginius seine Tochter ohne Hülfe sah, da führte er sie 
rasch bei Seite, ergriff in einer nahen Fleischerbude ein Meffer und 
sprach: „Kind, dies einzige Mittel blieb mir, deine Freiheit zu retten!" 
Dann durchstach er dem Mädchen die Brust und rief zum Richtcr- 
stuhl hinaufblickend: „ Auf dich, Appius, und auf dein Haupt lade 
ich den Fluch dieses Blutes!" bahnte sich mit dem Messer einen Weg 
und erreichte, von der ihm nacheilenden Menge gedeckt, das Thor. 
(Siche die Abbildung 16.) 
Wahrend Jcilius und seine Genossen das Volk in Rom zur Rache 
entstammten, eilte der Vater nach dieser gräßlichen That in das Lager 
zurück und reizte das Heer zur Empörung. In geschlossenem Zuge 
gingen die Soldaten nach Rom und besetzten den Aventinus, jeden 
Bürger zur Wiedereroberung der Freiheit und zur Wiedereinsetzung der 
Tribunen auffordernd. Hier ernannten sie zwanzig Tribunen und zogen 
vom Aventinus auf den heiligen Berg. Die Patricier sahen sich zur 
Nachgiebigkeit gezwungen. Durch die den Plebejern befreundeten Se¬ 
natoren L. Valerius und M. Horatius ließen sie den Frieden 
unterhandeln. Die Bürger kehrten zurück auf den Aventinus und 
wählten fünf Bürgertribunen; Valerius und Horatius erhielten daö 
Consulat, auch die übrigen Obrigkeiten wurden wieder eingesetzt, nach¬ 
dem die Decemvirn ihr Amt niedcrgelegt hatten. 
Zur Befestigung der wiedergewonnenen Bürgerfreiheit gaben die 
Eonsuln in einer Centurienversammlung folgende Gesetze (Leges Vale- 
riae et Horatiae): l) Daß Alles, was der Bürgerstand durch die 
Stimmen seiner Bezirke feftsetzte, das Gesammtvolk verpflichten oder 
für dasselbe verbindlich seyn solle (ut guoä plebes tributim jussisset, 
populum teiieret); 2) daß Niemand eine Obrigkeit wählen solle, von 
der man nicht Ansprache (Appellation, provocatio) an das Gesammt¬ 
volk nehmen könne, und wer dagegen handle, solle geächtet seyn, so 
daß ihn jeder ungestraft zu tobte« befugt sey; 3) daß die Tribunen, 
plebejischen Aedilen und Richter unverletzlich seyen (lex Duilia tribu- 
nicia); 4) daß alle Senatsbeschlüsse in Abschrift an die plebejischen 
Aedilen abgegeben und in dem Cerestempcl anfbewahrt werden sollten^ 
Um der Verfälschung der Urkunden vorzubeugen, Unterzeichneten von 
jetzt an die Tribunen dieselben mit einem T. Auch hatten sie seit 
dieser Zeit einen Sitz im Senate vor den geöffneten Thüren der Curie,
	        
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