Full text: Die deutsche Geschichte für Schule und Haus

Innere Zustande und Verhältnisse der Germanen. 45 
Krieg und Frieden entschieden und überhaupt die allgemeineren, die 
ganze Völkerschaft betreffenden Angelegenheiten besprochen und erledigt 
wurden. Jene so gut, wie diese, hatte die ganze politische Macht und 
nahm alle Geschäfte vor, die öffentlicher Anerkennung bedurften. Darum 
fand hier die Wehrhaftmachung der Jünglinge sowie die Wahl der 
Obrigkeiten statt. Die Volksversammlung gab und handhabte das 
Gesetz, sie war zugleich Gericht; das Volk fand das Recht und sprach 
das Uriheil. Verbrechen, welche gegen das Volk, den Staat verübt 
waren, wurden mit dem Tode bestraft; Ueberläufer wurden an einem 
Baume aufgehängt; andere Verbrechen, welche für die schimpflichsten 
galten, wurden auf andere Weise gestraft: die Missethäter wurden mit 
Erde beschüttet oder in einen Sumpf versenkt. Wegen eines Frevels 
gegell den Einzelnen, gegen sein Leben oder sein Gut, wurde nicht auf 
den Tod erkannt; solche Vergehen konnten mit Geld oder Geldeswerth ge¬ 
sühnt, gebüßt werden. Die Höhe dieses Strafgeldes oder Wehrgeldes wurde 
nach einer festen Regel bestimmt, nicht nach Willkür. 
3. Es gab regelmäßige und unregelmäßige (ungebotenes und gebotenes 
Thing) Versammlungen der Hundertschaft, von denen die erstern beimNeu- 
und Vollmonde abgehalten wurden. Aber nicht Alle fanden sich regelmäßig 
ein; wer aber erschien, war bewaffnet, so daß das versammelte Volk zugleich 
das Heer darstellke. War das Volk vereinigt, so entschieden die Priester, 
ob eine Beraihuug den Göttern genehm sei, es wurden nämlich Loose 
geworfen und nur, wenn sie günstig fielen, begann die Verhandlung. 
Der Priester verkündigte dann den 'Gerichtsbann und der König oder, 
wo es keine königliche Gewalt gab, der gewählte Fürst eröffnete die 
Versammlung. Dann sprach jeder, wie ihn Alter, Adel, Kriegsruhm 
oder Beredsamkeit auszeichnete. Niemand befahl; nur das Ansehen, das 
er besaß, übte seinen Einfluß. Was die Versammlung entschied, war 
Gesetz und Recht. Vorschläge, welche man billigte, wurden mit lautem 
Zuruf und Waffengeklirr begrüßt; was mißbilligt wurde, verwarf man 
durch lautes unwilliges Geschrei. Als sich späterhin die Völkerschaften 
zu größeren Ganzen vereinigten, kam zu der Versammlung der Hun¬ 
dertschaft und des Gaues noch die Versammlung des Stammes, des 
Reiches, das Landcsthing, auf welchem nicht alle freien Grundbesitzer, 
sondern nur Abgeordnete aus den einzelnen Gauen erschienen. Doch 
konnten auch andere Freie aus dem Volke Theil nehmen, welche einen 
Kreis um die Berathenden bildeten und zuhörten. 
4. Das ganze Volk zerfiel in Freie und Unfreie; aus den crsteren 
bildete sich ein Adel heraus; den Uebergang von den letztern zu den 
Unfreien bildeten die Liten oder Lazzen, so daß sich vier Abstufungen 
unterscheiden lassen. Aus dem Adel (nobilifas, nobiles) wurden die 
Könige, zuweilen auch die Heerführer gewählt; Adel gehörte zu den Ei¬ 
genschaften, welche Ansehen beim Volke verschafften, und schon den 
Jünglingen gereichte ausgezeichneter Adel zum Vortheile. Jedoch scheint 
der Adel nicht zahlreich gewesen zu sein und im Staate teste höheres 
Recht, als die Freien, gehabt zu haben. Seine Entstehung und eigent¬ 
liche Bedeutung ist in Dunkel gehüllt. Den eigentlichen Kern des 
Volkes bildeten die Freien (ingenui). Nächst dem Adel, der nur die 
höchste Stufe der Freien bildete, konnten nur diese Grund und Boden 
eigen und erblich besitzen, sowie denselben erwerben oder veräußern. 
Nur der Freie hatte das Recht zur Theilnahme an der Volksversamm¬ 
lung, das Recht, Waffen zu tragen, dagegen aber auch die Verpflich¬
	        
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