Full text: Weltgeschichte in funfzig Lebensbildern

— 271 — 
kam in seinem 22. Jahre als Professor nach Wittenberg. Er war 
von kleiner, unansehnlicher Gestalt, hatte eine hohe Stirn, geistreiche 
blaue Augen, war einfach in seiner Tracht, munter und witzig in 
Gesellschaft, dabei voll christlicher Milde und Sanftmuth und unge¬ 
achtet einer bewundernswürdigen Gelehrsamkeit voll echter Demuth. 
Er war die Gelehrsamkeit, Luther die That. Dieser sagte von ihm: 
„Melanchthon fahrt säuberlich und stille daher, bauet und pflanzet, 
säet und begeußt mit Lust, nachdem Gott ihm gegeben seine Gaben 
reichlich. Ich dagegen muß die Klötze und Stämme ausreuten, die 
Pfützen ausfüllen und bin der grobe Waldrechter, der Bahn brechen 
und zurichten muß." Als Melanchthon nach Wittenberg gekom¬ 
men war, mochten die älteren Professoren nicht viel von dem jun¬ 
gen Manne wissen; desto eifriger nahm sich sogleich Luther seiner 
an, und es knüpfte sich zwischen ihnen ein Freundschaftsbündniß so 
inniger und fester Art, daß man auch bei ihrem gemeinschaftlichen 
Wirken für die Sache der Reformation sie nicht bloß nicht von ein¬ 
ander trennen darf, sondern oft genug gar nicht einmal unterschei¬ 
den kann, wessen Geist hier oder da vorzugsweise gewirkt. Schö¬ 
ner konnten zwei einander widersprechende und doch wieder ergän¬ 
zende Charaktere, die sich freilich in der Liebe zum Heilande Eins 
mussten, nicht zusammengeführt werden. 
Da man sah, daß mit Gewalt gegen Luther Nichts auszurich¬ 
ten war, versuchte man's mit listiger Freundlichkeit. Der Kämme¬ 
rer des Papstes, Karl von Miltiz, ließ Luther 1519 nach Altenburg 
kommen und ermahnte ihn liebreich zum Schweigen. Luther ver¬ 
sprach das, wenn seinen Gegnern auch Schweigen geboten werde. 
Darauf zog Miltiz den Tezel zur Rechenschaft und ließ ihn so hart 
an, daß dieser bald nachher starb. Es schien Alles beruhigt zu 
seyn. Da kündigte der eitle Dr. Eck eine Disputation an und 
stellte lauter Sätze auf, welche Luthers früher geäußerten Meinungen 
gerade entgegen waren, so daß dieser nicht schweigen konnte, son¬ 
dern eine Herausforderung für sich darin erkennen musste. Der 
gelehrte Zweikampf dauerte vom 27. Juni bis zum 16. Juli 1519. 
Der Herzog Georg war mit seinem ganzen Hofstaate täglich gegen¬ 
wärtig. Im Verlaufe des Streites musste Luther zugeben, daß er 
in mehreren Sätzen mit Huß übereinstimme, also auch das Ansehn
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.