4
Zweite Erzählung.
Es wandert ein anderes Volk ein.
Ungefähr 400 Jahr nach der Geburt unsers Heilan¬
des Jesu Christi war unter vielen Völkern eine große
Bewegung. Sie brachen aus ihren bisherigen Sitzen
auf und wollten sich neue Wohnplatze suchen. Dadurch
entstand ein großes Drängen und Treiben, denn der eine
Nachbar trieb den andern auf und zwang ihn zum Vor¬
wärtsziehen. Auch die Semnonen und Longobarden ge-
riethen in diesen Wanderungsstrom und zogen gen Süd
und West in ferne Länder. Dort ließen sie sich nieder.
Ihr Namen wurde aber fortan in den Gegenden an der
Havel, Spree und Elbe nicht mehr gefunden.
Fast 100 Jahr nach dieser Auswanderung kam in
diese Gegenden eine andere große Volksmaffe und nahm
dieselben in Besitz. Es waren die Wenden. Schon
die Gestalt ihres Körpers zeigte, daß sie dem fernen Asien
angehörten. Sie waren nicht sehr groß von Wuchs, aber
stark und gedrungen, hatten lichtbraunes Haar, eine
braungelbe Haut, kleine dunkle blitzende Augen und ein
kurzes Antlitz. Als Kleidung trugen sie, wie die Mor¬
genländer, lange und weite Gewänder aus Leinwand
und wollenen Zeugen. * Kaum hatten sich diese Fremd¬
linge in ihren neuen Wohnsitzen niedergelassen, als sie
ansingen, fleißig den Acker zu bearbeiten. Sie bauten
Weiten, Roggen, Mohn, Hanf, zogen schöne Garten¬
gewächse und pflanzten edle Dbftbäume. Sie hatten
Pferde, Rinder und Schafe, fischten aus der Ostsee
Heringe, die sie einsalzten, und man erzählt sogar, mit
vielen Produkten hätten sie einen lebhaften Handel nach
außen hin getrieben^ Dazu bauten sie sich Häuser, nicht
so schlechte, als die Semnonen und Longobarden, son¬
dern recht feste aus Holz und Lehm, und eins neben das
andere, so daß lange Reihen daraus entstanden. Da¬
durch legten sie den Grund zu Städten, Flecken und
Dörfern, und man glaubt, daß die Städte Branden¬
burg, in alten Zeiten Brennabor genannt, Stettin,
Lebus, Elbing, Danzig von den Wenden gegründet wor-
i