Full text: Neue Geschichte (Theil 3)

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ließ dann und wann heimliche Seufzer hören; zuweilen sah man sie verstohlen 
weinen, Alles Dinge, wodurch das Mitleiden derer, die sie leiden sahen, ans 
den höchsten Grad gespannt wurde. Eifrig bewarb sie sich um die Gunst 
der Soldaten, sprach freundlich mit ihnen, und erlaubte ihnen, ihr die Hand 
zu küssen. Aller Augen wandten sich mitleidsvoll auf sie, wenn sie sich blicken 
ließ, und immer größer wurde zugleich der Haß gegen den Kaiser, der die 
arme Frau so mißhandelte. Bald sah sie um sich eine Menge von Anhängern, 
die in sie drangen, nicht länger die schlechte Behandlung ihres Gemahls zu 
dulden, und selbst die Regierung zu übernehmen. Nicht lange blieb sie un¬ 
schlüssig. Es blieb ihr nur übrig, zwischen zwei Fällen zu wählen: entweder 
ins Kloster zu wandern, oder den Kaiser zu stürzen; und da sie keine Liebe 
zu ihm, und keine Achtung vor ihm hatte, selbst nicht ohne Ehrgeiz war, und 
die Kraft in sich fühlte, ein großes Reich zu regieren, so gab sie ihre Ein¬ 
willigung. Ihre Freunde leiteten Alles ein. Die mächtigen Garden wurden 
heimlich gewonnen, und ihnen vorgespiegelt, Peter denke darauf, seine Frau 
und seinen Sohn Paul, den er auch nicht leiden konnte, ums Leben bringen 
zu lassen. „Das werden wir nicht zugeben," riesen sie, „wir sind bereit für 
eure Vertheidigung zu sterben." Eines Morgens, am 9. Juli 1762, als 
Peter auf dem Schlosse Oranienbaum, 7 Meilen von Petersburg, abwesend 
war, erschien Katharina auf dem Platze vor den Kasernen der Garde, und 
als die Soldaten neugierig sich um sie drängten, rief sie: „Ich komme, mich 
in eure Arme zu werfen; die Mörder sind schon unterwegs, die mich und 
meinen Sohn todten sollen!" — „Nimmermehr!" riefen Alle mit einer 
Stimme, „nimmermehr, so lange wir leben!" Alle schwuren ihr den Eid der 
Treue. Dann warf sie sich in die Uniform der Garde, stieg zu Pferde, und 
führte die Garden zur Stadt hinaus, auf Oranienbaum zu. Die Nachricht 
von dem Aufstande erreichte endlich auch Petern, der eben auf dem Wege von 
Oranienbaum nach Peterhof war, welches zwischen jenem Schlosse und Peters¬ 
burg liegt. Er stieg in Peterhof aus, und war so bestürzt, daß er nicht 
wußte, was er machen sollte. Bald gab er Befehle, die benachbarten Regi¬ 
menter zusammenzuziehen, und die Kaiserin zu ermorden, bald wollte er sie 
um Gnade anflehen, oder die Flucht ergreifen. Zuletzt folgte er dem Rathe 
des alten Feldmarschalls Münuich, nach der Festung Kronstadt zu eilen, wo 
die Flotte liegt, und die großen Kriegsvorräthe sich befinden, und sich an die 
Spitze der dort stehenden Soldaten zu stellen. Er warf sich also in ein 
kleines Schiff, und ließ sich hinüberrudern. Kurz zuvor aber war die Be¬ 
satzung für die Kaiserin gewonnen worden, und als die Jacht des Kaisers 
landete, und er auf den Ruf der Wache: „Wer da?" — „der Kaiser!" ant¬ 
wortete, rief man ihm zu: „Es giebt keinen Kaiser mehr!" — Peter trat 
vor, schlug den Mantel auseinander, rief, indem er seinen Ordensstern zeigte: 
„Ich bin es ja! Kennt ihr mich nicht?" — und wollte aussteigen; aber 
die ganze.Wache hielt ihm die Bajonette entgegen, und drohte zu schießen, 
sobald er sich nicht entfernte. „Fort mit der Galeere! Fort mit der Galeere!" 
schrie die Menge. Peter sank seinen Begleitern in die Arme, und gab Be¬ 
fehl zurückzurudern. Dies geschah mit äußerster Schnelligkeit, während in 
der Festung das wilde Geschrei: „Es lebe Katharina, die Kaiserin!" sich zu 
den Wolken erhob. „Wehe! wehe!" rief Peter weinend aus, „die Verschwö-
	        
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