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selbst zu zerfallen, als ein Mann auftrat, der das Vertrauen
aller seiner Mitbürger besaß und durch zweckmäßige Einrichtungen
das Glück und den Ruhm seiner Vaterstadt begründete. Dieser
merkwürdige und um Athen so hochverdiente Mann war Solon;
der nämliche, von welchem wir oben hörten, wie er einem
Könige, der schon auf dem Scheiterhaufen stand, das Leben
rettete, und einen anderen zur Besserung führte.
Verfassung des Solon (594). — Zuerst erleichterte
er durch ein menschenfreundliches Gesetz, Seisachtheia ge¬
nannt, die Schuldenlast des ärmeren Volkes. Durch dieses
Gesetz ward der Zinsfuß, der im Alterthume wegen der geringen
Sicherheit für die Gläubiger lange Zeit überall sehr hoch war,
ermäßigt, die Abtragung der alten Schulden nach einem neuen
Münzfüße erleichtert, die persönliche Verpfändung des Schuldners
und seiner Familie aber ganz abgeschafft. Um die Uebermacht
der Vornehmen, die stets den Unwillen des Volkes erregt hatte,
zu mindern, so verordnete er, daß alle Bürger zusammen die
höchste Gewalt, und jeder an der Staatsverwaltung Theil haben
solle. Ueber alle wichtigen Angelegenheiten des Krieges und
Friedens entschied die Volksversammlung. Jeder athenische
Bürger, der wenigstens zwanzig Jahre alt war, hatte das Recht
und die Pflicht, in derselben zu erscheinen und abzustimmen.
Die Mehrheit der Stimmen entschied für die Annahme oder
Verwerfung eines gemachten Vorschlages; die Stimme des
niederen Bürgers galt hierbei gerade so viel, als die des
vornehmen. Das Reden, Berathschlagen und Erwägen, das
Annehmen oder Verwerfen des Erwogenen war ein schönes
Bildungsmittel und setzte alle Geisteskräfte in Thätigkeit. Die
Möglichkeit, durch Talent, Kunst und Fleiß sich geltend zu machen
und seinen sichern Lohn zu finden, spornte selbst den Trägsten an.
Das Volk wurde nach dem Vermögen und zwar nach dem
Reinerträge des Grundbesitzes in vier Klassen getheilt, und
hiernach die besonderen Rechte und Pflichten eines Jeden er¬
messen. Das jährliche Einkommen ward nach einem Maße