Full text: Lehrreiche und anmuthige Erzählungen aus der brandenburgisch-preußischen Geschichte

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Land betrafen, so versammelte der Fürst die Abgeordneten des Adels, 
der Geistlichkeit und der Städte. Man besprach hier, wie am besten 
das Land verwaltet werden könnte, man bestimmte die Abgaben, 
man beschloß gute Einrichtungen für den Ackerbau, für die Viehzucht 
und für den Handel. Zu einer andern Zeit kam man zusammen, 
um Gericht zu halten und Recht zu sprechen. Dann versammelten 
sich die Abgeordneten unter freiem Himmel, blieben an vier Wochen 
dort und schlichteten alle Streitsachen der Gegend. 
8. Es kommt ein anderes Fürstenhaus zur Regierung. 
Vier Jahre stritt man darüber, wem das schöne Brandenburg an¬ 
heimfalle. Endlich behielt der Stärkere die Oberhand. Der damalige 
deutsche Kaiser, welcher ein Herzog von Baiern war, nahm die 
Markgrafschaft als Eigenthum an sich und gab sie seinem ältesten 
Sohne Ludwig. So kam also ein ganz anderes Fürstengeschlecht in 
Brandenburg auf den Thron. Viele deutsche Fürsten gönnten aber 
dem Kaisersohne dies Besitzthum nicht und suchten ihm auf alle 
Weise zu schaden. Schon in den vier Jahren, während welcher 
Niemand im Lande wußte, wer Herr oder Knecht sei, war es arg 
hergegangen. Die Nachbarn hatten an den Grenzen ein Stück Land 
nach dem andern an sich gerissen, und im Innern raubte und 
plünderte, wem es gut schien. Zu diesen Plagen kamen noch andere. 
Zuerst fielen die Polen und Litthauer in das Land und hausten 
fürchterlich in demselben. Sie sollen 144 Dörfer verbrannt und 
6000 Menschen gefangen weggeschleppt haben. Kaum war dieser 
Sturm vorüber, als ein neuer und dazu ganz sonderbarer Feind 
auftrat. Hin und wieder ließ sich im Lande ein Mann in einem 
Pilgerkleide sehen, welcher erzählte, er komme von einer Wallfahrt 
nach dem heiligen Grabe zu Jerusalem zurück. Dort habe er leib¬ 
haft den Markgrafen Waldemar angetroffen, denn dieser sei nicht 
gestorben, sondern lebe. Solche Rede lief von Mund zu Mund, 
von Ort zu Ort. Jeder horcht freudig auf. Der Pilger geht indeß 
zum Erzbischof von Magdeburg, und als ihn dieser nicht vor sich 
kaffen will, bittet er um einen Labetrunk. Man reicht ihm denselben. 
Indem er den Becher zurückgibt, wirft er in denselben den Siegelring 
des verstorbenen Waldemar und geht davon. Die Diener bringen 
den Becher zum Erzbischof, welcher gerade bei Tafel sitzt. Alle An- 
wesenden staunen über die Sache, man ruft den wunderbaren Mann 
zurück, und dieser sagt nun: „Ich selbst bin Markgraf Waldemar. Ich 
bin nicht, wie man geglaubt hat, gestorben, sondern ich habe mich 
damals nur für todt ausgegeben und einen andern Menschen statt 
meiner begraben lassen. Denn heftige Gewissensbisse peinigten mich 
und trieben mich an, nach Jerusalem zu wallfahrten und dort
	        
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