Full text: Erzählungen aus der griechischen Geschichte (Theil 1)

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Jetzt ähnele Odysseus schon die Erfüllung der schrecklichen Weissa¬ 
gung, doch ließ er wenigstens die Genossen schwören, keins von 
den Rindern und Schafen des Helios zu schlachten, sondern nur 
die Speisen zu genießen, die ihnen Kirke mitgegeben hatte. Alle 
schwuren den Eid. Aber den ganzen Monat hindurch brauseten 
ungünstige Winde; so lange der Vorrath im Schiffe ausreichte, 
schonten die Griechen der Rinder, dann, als alle Nahrung ver¬ 
zehrt war, fingen sie Vögel und Fische zur Speise. Einst jedoch, 
als Odysseus in tiefen Schlaf versenkt lag, siegte der Rath des 
Eurylochos bei seinen Freunden, und bei seinem Erwachen drang 
dem Odysseus schon der Duft von dem Opfer der geschlachteten 
Rinder entgegen. Umsonst waren jetzt alle Vorwürfe, die er 
seinen Gefährten machte. Das Unheil war geschehen, und schon 
gewahrten diese selbst die grausigen Zeichen der Strafe der 
Götter; sie sahen, wie die Häute der geschlachteten Rinder dahin 
krochen, und das Fleisch an den Spießen brüllte wie Stierge¬ 
brüll. Nun schmausten die Griechen sechs Tage lang von den 
Ripldern und setzten am siebenten die Fahrt fort. 
Bald hüllte sich der ganze Himmel in düsteres Gewölke, 
das Meer wurde dunkel, ein gewaltiger Orkan erhob sich, die 
Winde zerrissen die Taue des Mastes, und mit lautem Gekrach 
stürzte dieser in das Schiff und zerschmetterte dem Steuermann 
das Haupt, das er von dem Verdecke in das Meer hinabschoß. 
Der Donner brüllte, und ein Blitz schlug in das Schiff, die 
Gefährten stürzten heraus und fanden, wie Krähen auf dem 
Meere schwimmend ihren Untergang. Odysseus stand allein auf 
dem Schiffe, da löste sich auch dieses aus den Fugen, und den 
Mast mit dem Kiel durch ein Seil zusammenbindend, setzte sich 
der Unglückliche darauf und trieb auf dem Meere umher, der 
Wuth des Sturmes überlassen. Jetzt wechselte der Wind, der 
Süd erhob sich und schlug den Schiffbrüchigen zur grausigen 
Charybdis zurück, als sie gerade das Wasser einschlürfte. Be¬ 
hende schwang sich Odysseus aus einen Feigenbaum, der sich ' 
auf dem Felsen erhob, und wartete, bis sie Mast und Kiel, die 
sie eingeschluckt, wieder hervorstrudelte. Schnell sprang er auf 
die Balken, und von Skylla ungefährdet, trieb er weiter auf den 
Wogen umher neun Tage lang. Am zehnten landete er auf der 
Insel Ogygia, wo die schöngelockte Göttin Kalypso wohnte.
	        
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