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wachsenden Leiden und Verfolgungen", heißt es, „steigerten Muth und
Kraft zum Widerstande, erzeugten furchtbare Grausamkeiten gegen Kirchen
und Geistliche und führten endlich eine Reihe von nie gesehenen und ge¬
hörten Erscheinungen herbei. Männer, Weiber und Kinder singen an zu
weissagen. Mit diesen Zuständen geistiger Ueberreizung traten Krämpfe
und körperliche Zeichen in Verbindung, welche sich oft unwiderstehlich sort-
pflanzten und sogar die Abgeneigtesten ergriffen." Die kleinen Schaaren
dieser begeisterten Schwärmer vertheidigten sich unter der Anführung eines
fungen Bäckers', Cavalier, mit wahrhaft verzweifelter Tapferkeit, bis
der größte Theil ihrer Dörfer in Asche lag und ihre, wenigstens für den
Augenblick scheinbare Vernichtung, dem Kriege ein Ende machte. Tausende
von ihnen zogen sich in die Schluchten und Thäler ihrer Gebirge zurück,
bis sie es wagen konnten, wieder hervorzukommen. Im Jahre 1704 er¬
warben sie sich den Frieden und bauten dann ihre zerstörten Dörfer
wieder auf, wo der evangelische Glaube bis aus den heutigen Tag eine
Wohnstätte hat. —
§. 6. Ludwig XIV. und der spanische Erbsolgekricg.
Bisher hatte König Ludwig XIV. seine Kriege mit Glück, wenigstens
mit äußerlichem Glanze geführt, bald aber sollte in dem spanischen
Erbfolgekrieg (1700—1713) sein Siegesgestirn sich wenden. Nach
dem Tode Philipp's III., dessen Sohn Philipp IV. den spanischen
Thron bestiegen hatte (1321 — 1665), hoffte das unglückliche Volk, daß
durch eine umsichtige Leitung des weiten Reiches der gesunkene Wohlstand
gehoben, die materiellen Interessen des Landes gefördert werden würden.
Wirklich hatte auch König Philipp IV. den besten Willen, aber die
beständigen Kriege, in die er verwickelt war, — mit den Niederlanden, mit
Frankreich, Italien und Portugal (welches für Spanien 1640 verloren ging,
indem sich der Herzog Johann von Braganza, aus altportugiesischem
Königsstamme, zum Könige von Portugal erhob) —, erschütterten das
Reich nur stets auf's Neue, und obschon Philipp trotz allen Stürmen,
die er zu bestehen hatte, Manches zur Förderung des Ackerbaues und des
Handels gethan hatte, stand dies doch zu vereinzelt, um das gedrückte und
verarmte Reich vor weiterem Verfalle schützen zu können.
Unter der Regierung seines Sohnes und Nachfolgers Karl II.
(1665 — 1700) ging das Reich seinem Verfalle rasch entgegen; denn Karl
war bei seiner Thronbesteigung erst vier Jahre alt; und unter der Leitung
seiner Mutter Maria Anna und ihres Beichtvaters, des deutschen
Jesuiten Neidhard, waren in dem Kabinete Jntriguen und Kabalen an
der Tagesordnung. Als Karl selbstständig die Regierung übernommen