30
zurückzuziehen. Zu Augsburg ward er bitter verhöhnt, als er bei seinem
prächtigen Einzug, nach herkömmlicher Sitte, mit erhobener Hand den
Segen ertheilen wollte. Auf dem Reichstage aber hatte er den Verdruß
zu sehen, daß die evangelischen Stände die Oberhand behielten und erklär¬
ten, sie wollten dem kaiserlichen Edikt von Worms gegen Luther und
dessen Anhänger Nachkommen, „so viel es möglich sei;" zugleich ver¬
langten sie, daß ein Konzil zur Schlichtung der obschwebenden Zerwürf¬
nisse an gelegener Mahlstatt in Deutschland ausgeschrieben würde. Diese
Erklärung gegen die Vollziehung des Wormser Edikts, die zum Reichstags¬
beschluß erhoben wurde, war dem Fortgange der Reformation eher förderlich
als nachtheilig. Luther fuhr ungehindert und eifrig fort, den neuen Glau¬
ben durch Predigten und Schriften, die unzählige Male gedruckt und in
alle Länder verbreitet wurden, zu befestigen. Im Jahre 1522 kam zum
ersten Mal das Neue Testament in deutscher Uebersetzung im
Drucke heraus. In allen Schriften Luther's, die dieser für seine Sache
und zur Widerlegung der Gegner schrieb, war aber nachdrücklich daraus hin-
gewiesen, daß er, als Reformator der Kirche, keineswegs gesonnen sei, eine
neue Kirche auszurichten, sondern nur die alte von willkürlichen und schäd¬
lichen Zusätzen zu reinigen. „Du mußt dich nicht lutherisch nennen",
schrieb er, „ist doch die Lehre nicht mein. Ich bitte daher, man wolle
meines Namens schweigen, und nicht sich lutherisch, sondern Christen
neunen. Laßt uns tilgen die parteiischen Namen! laßt uns
Christen heißen, deß Lehre wir haben! ich bin und will Keines
Meister sein." Noch milder spricht Melanchthon: „Wir haben den
Verein der katholischen christlichen Kirche von Herzen lieb, und tadeln mehr
nicht, als etliche Mißbräuche des Gegentheils. Wir sind also von der ka¬
tholischen christlichen Kirche nicht abgewichen, sondern haben allein die
Mißbräuche fahren lassen, und sind vielmehr aus ihrer Mitte gestoßen
worden durch gewaltsame Befehle, Bann und neue Verbitterung."
Luther trat jetzt öffentlich aus dem Mönchsorden; er vertauschte die
Augustiner-Kutte mit einem schwarzen Kleide, wie man es damals am
Hofe trug, und wozu ihm der Kurfürst das Tuch geschenkt hatte. Auch
seine bisherigen Ordensbrüder in Wittenberg verließen das Kloster und
wurden theils Laudpfarrer, theils Schullehrer; das Kloster in Wittenberg
selbst übergab Luther feierlich dem Laudesherrn, mit der Bitte, es zu
einem andern gottesdienstlichen Zwecke zu verwenden. Gleiches geschah mit
den andern Mönchs- und Nonnenklöstern, ans welchen die meisten Mit¬
glieder freiwillig noch vor Aufhebung derselben ins bürgerliche Leben zu¬
rücktraten. Hier und da fand indeß die Aufhebung der Klöster Widerspruch;
namentlich weigerte sich die Aebtissin zu Nimptsch (Nimbschen), ihr Kloster
zu öffnen und die Nonnen zu entlassen. Die Nonnen, welche größtentheils
schon entschlossen waren, auszutreten, wandten sich schriftlich au ihre Ver¬
wandten. Ein junger Bürger aus Torgau, dessen Schwester unter der
Zahl dieser Nonnen war, kam verabredeter Weise in finstrer Nacht mit
i