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Geschichte des Mittelalters.
Freiheiten königlicher Vasallen fallen auch den Vasallen der geistlichen
und weltlichen Herren zu; außerordentliche Steuern können nur mit
Einwilligung des Parlaments (Reichstags) erhoben werden.
Zehntes Kapitel.
Die Kreuzzüge und die mittelalterliche Kultur.
8 269. Die Kreuzzüge sind die größte That des Mittel¬
alters und daher waren auch ihre Folgen von der tiefsten Bedeutung.
Alle christlichen Nationen erhoben sich auf den Aufruf des Papstes, des
gemeinschaftlichen geistlichen Oberhaupts, zum Kampfe gegen den Islam,
der das Christenthum im Morgenlande vernichtet oder unterdrückt hatte
und im Abendlande bedrohte. Zwar errang die Christenheit keinen
vollständigen Sieg über den Islam, aber bei dem hohen Streben, das
alle christlichen Nationen ergriffen hatte, entfesselten sich alle Kräfte
und suchten das Feld ihrer Thätigkeit im Dienste jenes hohen Stre-
bens, der Verherrlichung des christlichen Namens. Daher hoben sich
sowohl die christlichen Völker als die Stände, in welche sie sich getheilt
hatten, die Völker traten in den lebendigsten Wechselverkehr, es
bildete sich eine europäisch-christliche Kunst und Wissenschaft heran,
wie auf der anderen Seite das Ritterthum und innerhalb der Stadt¬
mauern der reiche, wehrhafte Bürgerstand.
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§ 270. Nach Karl dem Großen schwand die Zahl der freien
Grundbesitzer mehr und mehr und zugleich wurde die schwere
Reiterei der Hauptbestandtheil der Heere, daher konnten die ärmeren
Freien nicht mehr in das Feld ziehen. In Folge dessen bildete sich
ein eigener Stand aus denjenigen Freien, welche so viel Eigenthum
besaßen oder so viel Gut zu Lehen trugen, daß sie den Heeresdienst
zu Rosse thun konnten; sie heißen daher in den Urkunden „milites"
(Soldaten) und nannten sich selbst von ihrem Kriegsdienst zu Rosse
„Ritter". Der Sohn eines Ritters erhielt durch seine Geburt das
Lehenrecht, während Bauern und Bürger dasselbe thatsächlich verloren,
weil sie nicht regelmäßig und nicht zu Rosse Kriegsdienste leisteten.
Nach der Weise des Mittelalters bildeten die Ritter eine Genossen¬
schaft, in welcher die Berechtigten feierlich ausgenommen wurden. Als
Muster galt die französische Ritterschaft, deren Regeln und Gebräuche
auch von den Rittern anderer Nationen angenommen wurden, so daß
eine europäische ritterliche Kameradschaft entstand, die ihre Rechte jedem
einzelnen wahrte.
§ 271. Wer als Ritter ausgenommen werden wollte, mußte zuerst
seine Ritterbürtigkeit Nachweisen (der Kaiser konnte sie jedem verleihen),
sowie daß er ritterliche Waffenübung und Sitte erlernt habe. Dann
bereitete er sich vor durch Gebet, Fasten, Beichte und Kommunion, ge¬
lobte täglich die Messe zu hören, für den christlichen Glauben zu streiten,