Die Germanen.
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Götter mehr in der Haltung von Heroen auftraten. Glau-e und
Kult der Germanen mußten sich wie bei den Hellenen mannigfach
gestalten, da sie weder einen organisierten Priesterstand wie die Gallier
in den Druiden, noch heilige Bücher besaßen.
Die germanische Religion hat viele Anklänge an die Religion der
Inder, Perser und Griechen und zeigt gleich diesen eine fortschreitende
Trübung des religiösen Bewußtseins.
§ 10. Der erste Gott, der „Allvater", „der Mächtige von Die einzel-
oben her", schafft die Welt, gestaltet sie aus dem Chaos und durchdringt ne'oftm***
sie mit seinem Wirken; sein Auge ist die Sonne, das Firmament sein
Mantel, das Gewölke sein Hut; aber später ist er zur Personifikation
der Sonne und zum Götterhelden Wuotan (Wodan, nordisch Odin)
geworden und erscheint mit sehr menschlichen Eigenschaften ausgestattet;
von ihm stammt das Geschlecht der guten Götter.
Die Welt besteht aus der von den Menschen bewohnten Erde,
Midgard, die vom Meere umflossen ist, auf dessen Grunde sich die
Midgardsschlange windet; im Süden liegt Muspelheim, die
Feuerwelt, wo Surtur mit seinen Söhnen herrscht, im Norden
Jötunheim, die Wohnung der Eisriesen, Niflheim und die Woh¬
nung der Hel a (der germanische Tartarus) mit Reif, Eis, Schnee
und kaltem Gewässer. Wie der griechische Zeus mit den Göttern auf
dem Olymp thront, so Odin mit seinen göttlichen Kindern, den Äsen Die Asm.
(d. h. Glänzenden), in Asgard; mit ihnen regiert er die Natur
und die Menschenwelt und schützt sie gegen die feindlichen Mächte, die
aus Nord und Süd mit erstarrender Kälte oder sengender Glut an¬
drängen. Odin weiß alles und sieht alles, er verleiht Weisheit und
Herrschersinn, sowie den Sieg in der Schlacht. Neben ihm treten be¬
sonders Donar (nordisch Thor) hervor, der Wettergott, welcher mit Donar,
dem geschleuderten Donnerhammer die Eisriesen zerschmettert und
warme, fruchtbare Witterung gibt; Balder, der schönste, weiseste Baldur,
und sanfteste Sohn Odins, den tückische Feindschaft tödtet (wie Osiris
und Dionysos), die Sonne des nordischen Frühlings und Sommers;
Tyr, Ziu oder Erik, der Kriegsgott, Freia, die nordische Aphrodite. 2*».
Schicksalsgöttinnen sind die Nornen, welche, unter der Esche Agdra- Nomen,
sil an Urdas (des Werdens) Brunnen sitzend Schicksal und Lebens¬
dauer des Menschen bestimmen, die W alkyren, Odins Töchter, eilen Wattyrm.
zu Rosse auf das Schlachtfeld, und wählen die Männer aus, die im
Kampfe fallen sollen. Die Gewässer sind von Necken und Nixen Nixen,
bewohnt, welche der Zukunft kundig sind; im Innern der Erde schaffen
kunstreiche Zwerge (Schwarzalfen), und auf der Oberwelt walten Zwerge,
mannichfaltige gute Genien (Lichtalfen, Elfen).
§ 11. In Asgard ist Odins hoher Heldensaal Walhalla, er- Die Wal¬
richtet aus Speeren, gedeckt mit goldenen Schilden, mit 450 Thoren,
durch welche die auf den Schlachtfeldern Gefallenen eintreten. Hier
schmausen sie mit Odin und den Äsen von dem Eber, der immer wieder
nachwächst, trinken Meth, lauschen den Heldenliedern, ziehen aus zum
Kampfe, vom Kampfe wieder zum Schmause (denn die Erschlagenen
leben alsbald wieder auf) und ruhen die Nacht hindurch, bis der Hahn
mit dem Goldkamme sie zu neuer gleicher Luft weckt. Die gestorbenen
Arbeiter nimmt Thor auf, die Frauen Frigga, Odins Gemahlin,