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Drittes Buch.
14. Aristeidrs von Athen.
Aristeides, den wir schon bei Themistokles als dessen poli¬
tischen Gegner, nicht aber als dessen persönlichen Feind kennen
gelernt haben, war Sohn des Lysimachos, aus der Phyle Antio-
chis. Er gehörte zwar keiner der großen Familien Attika's an,
doch gehörte er nach seinem Grundbesitz in die Klasse der Penta-
kosiomedimnen und war ein Verwandter der reichen und ange¬
sehenen Familie des Kallias und Hipponikos, der Fackelträger
bei den eleusinischen Mysterien. Er war 10 —15 Jahre älter
als Themistokles, und darum gehört die Erzählung, daß beide
schon als Knaben stets mit einander gestritten und gewetteifert,
in das Reich der Fabeln. Als Männer allerdings, im Dienste
des Staates, standen ste einander gewöhnlich gegenüber; denn
ihr Charakter und ihre politischen Grundsätze waren sehr ver¬
schieden. Ernst und besonnen, einfach und offen, ein Freund
der Ordnung und des Rechts, unbestechlich und reinen Herzens,
ohne allen Eigennutz und Selbstsucht das Heil des Vaterlandes
fördernd, vermochte Aristeides mit dem schlauen, unruhigen und
verwegenen Themistokles, der allerdings auch mit allen Kräften
das Beste des Vaterlandes suchte, aber in seinen Mitteln nicht
bedenklich, nicht frei von Ehrgeiz und Eigennutz war, meistens
nicht dieselben Wege zu gehen. Aristeides war nach dem Ur-
theil des Herodot der beste und gerechteste Mann, der je in
Athen gelebt. Ohne Rücksicht auf Lob oder Tadel, auf Ruhm
und Gewinn, diente er mit stets gleicher Fassung seinem Vater¬
lande in guten und bösen Tagen; Ehre machte ihn nicht stolz,
bei Undank und Kränkung blieb er ruhig und gelassen und er¬
kaltete nicht in dem Eifer für das allgemeine Wohl. Während
Themistokles bei dem Beginne seiner politischen Laufbahn sich
eine Partei verschaffte, durch welche er bald zu einem nicht un¬
bedeutenden Einflüsse gelangte, ging Aristeides als Staatsmann