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edlerer Trieb sich regte, als der bloße Eifer für sein niedriges Handwerk.
Von Tag zu Tag mehrte sich in seinem Innern dieses noch halb unbe¬
wußte Sehnen und Verlangen nach etwas Anderm. Er versank in Träu¬
merei und Traurigkeit und verlebte wüste Tage, schlaflose Nächte, ganz dem
Gedanken hingegeben an das Herrlichere, was da kommen sollte und ihm
selbst noch nicht einmal deutlich war.
Es war gleichfalls ein ganz schlichter Nürnberger Bürgersmann, welcher
dem jungen Haus Sachs in dieser seiner wirren Gemüthslage das rich¬
tige Verständniß öffnete, Leonhard Nunnenbeck hieß der Mann, der Hans
Sachsens Freund und bald sein Lehrer und Rathgeber wurde; er war ein
Leineweber, aber wer von ihm gemeint hätte, er verstehe nur sein Weber¬
schiffchen aus dem Webstuhl hin und her zu werfen, der würde sich in dem
wackern Meister sehr getäuscht haben. Meister Leonhard verstand sich auch
auf das Schiffchen der Gedanken und der Poeterei, er wußte es so lustig
auf der elastischen Welle des Reimes und Verses auf der spielenden Fläche
des Strophenwerks daher schaukeln zu lassen, daß es eine Freude war.
Mit einem Worte, der würdige Nunnenbeck war zu gleicher Zeit ein ge¬
schickter und berühmter Meistersänger, und in dieser trefflichen Kunst wurde
er der Lehrer des jugendlich eifrigen Sachs, dem nun auf einmal wie
durch eine Himmelsoffenbarung das, was er längst erwartet und ersehnt
hatte, aufgegangen war, dem nun auf einmal in der allbeglückenden Kunst
der zierlich sich fügenden Dichtung der rechte Lebenstrost und Seelenweide
sich erschlossen hatte. Einen eifrigeren, unermüdlicheren Schüler als un¬
sern Hans Sachs konnte es nicht geben. Jedes Viertelstündlein, das er
sich von der freudenlosen Arbeit des Schuhflickens (die er, weil er arm
war, nicht ganz aufgeben durfte) abdarben konnte, verwandte er zum eif¬
rigen Studium in der weltberühmten Kunst des Meistergesangs. Ganze
Nächte durchwachte er im einsamen Kämmerlein beim trüben Lampenscheine
ganz vertieft in die schwierigen, aber lohnenden Regeln seiner neuen Kunst.
Es konnte nicht fehlen, daß der Jüngling, je glühender er für diesen edleren
Beruf entbrannte, nach und nach desto nachlässiger im väterlichen Hand¬
werk ward. Hans Sachs versprach eine Krone des Meistergesangs zu
werden, aber von Tag zu Tag ward er ein unordentlicherer Schuster. Es
liefen Klagen ein, und der alte Sachs, der sein Geschäft den Krebsgang
gehen sah, ergrimmte heftig wider seinen Sohn und dessen Verführer, wie
er ihn nannte, den Leineweber Nunnenbeck. Zuletzt jagte er den Erster»,
als unnützes Handwerks- und Familienglied, aus dem Hause, mit dem
Bescheid, er möge sein brodloses Gewerbe des Reimschmiedens treiben, wo
es ihm beliebe, und nicht früher, als er diesem aus vollem Herzen entsagt,
es wagen, das väterliche Haus wieder zu betreten.
Die Sage meldet nun, daß an einem schönem Frühlingsmorgen der
sechszehnjährige Hans Sachs mit seinem Büudelchen auf dem Rücken, aber
rüstigen Muthes, zum Thore seiner Vaterstadt Nürnberg hinauswanderte,
in deren Schooß ihm seine Knabeujahre freudlos genug verstrichen waren.
Aber diese Erinnerung trübte seine jugendliche Seele nicht mehr; war ihm