Full text: Geschichte des Mittelalters (Bd. 2)

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Das heilige römische Reich deutscher Nation. 
Reichsordnung zu Aachen (817). 
Die Zerrüttung des Reiches, welche Ludwig so schmerzlich traf als 
die Völker, nahm ihren Ursprung in der kaiserlichen Familie. Der 
Kaiser hatte von seiner Gemahlin Irmengard, einer Aquitanierin, drei 
Söhne: Lothar, Pipin und Ludwig, unter die nach seinem Tooe das 
Reich nothwendig getheilt werden mußte, was nach allen früheren Er¬ 
fahrungen eine stürmische Zukunft mit Gewißheit voraussehen ließ. 
Darum faßte Ludwig einen großen Entschluß, indem er auf dem Reichs¬ 
tage zu Aachen (817) für die Erbfolge das Recht der Erstgeburt dem 
alten fränkischen Erbrechte entgegenstellte. Sein Erstgeborner, Lothar, 
sollte nämlich die Kaiserwürde erben und mit ihr den weitaus größten 
Thei! des Reiches; denn Pipin erhielt mit dem Königstitel nur Aqui¬ 
tanien, Vaskonien und vier Grafschaften in Burgund; Ludwig endlich 
(später der Deutsche zubenannt) mußte sich mit dem Königstitel und 
der Herrschaft über Bayern, Kärnthen und die östlichen Marken begnügen. 
Außerdem wurde festgesetzt, daß die jüngeren Brüder dem Erstge¬ 
borenen jährlich ihre Huldigung darbringen sollten; nur mit seiner Be¬ 
willigung durften sie Krieg erklären oder Frieden schließen und fremde 
Gesandtschaften annehmen; im Falle ein jüngerer Bruder ohne recht¬ 
mäßige Erben sterben sollte, so fiel sein Reich an den Kaiser; empörte 
sich einer gegen denselben und gehorchte dessen Warnung nicht, so sollte 
er abgesetzt werden. Aus diesem Reichsgesetze geht klar hervor, daß 
der Kaiser und die Völker des Frankenreichs mit der kaiserlichen Krone 
die Oberherrlichkeit über die Könige sowie die Einheit des Reichs ver¬ 
bunden glaubten; aber Ludwig war nicht der Mann, der diese Idee 
aufrecht zu erhalten vermochte. 
Erster Familienkrieg (818). Bernhard. 
Zuerst lehnte sich Bernhard auf, der Sohn von dem 810 gestorbe¬ 
nen Pipin, dem Bruder Ludwigs, welchem Karl der Große den könig¬ 
lichen Titel und die Verwaltung Italiens bestimmt hatte; er war 817 
in Italien und rüstete sich, als er die Verfügungen des Reichstags zu 
Aachen vernahm, im Einverständnisse mit mehreren Großen zum Auf¬ 
stande. Ludwig wurde jedoch frühzeitig gewarnt und bot eine solche 
Kriegsmacht auf, daß Bernhard sich ohne Widerstand ergab. Ludwig 
stellte (einen Neffen vor ein Gericht der Großen, welche denselben zum 
Tode verurtheilten; der Kaiser bestätigte dieses Urtheil nicht, ließ aber 
zu, daß Bernhard geblendet wurde. Er starb wenige Tage darauf an 
den Folgen dieser grausamen Mißhandlung, worüber Ludwig später bittere 
Reue empfand, die er durch öffentliches Bekenntniß und Kirchenbuße zu 
beruhigen suchte (822).
	        
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